4.11.12

Im Eiltempo: Frankfurter Buchmesse (Teil I)

Donnerstag, 11.10.2012

»Endlich hab ich meinen alten Campingbus durch den TÜV gebracht«, verkündete mein Freund, der Journalist S., wenige Tage vor unserem gemeinsamen Aufbruch zur Buchmesse. »Wir können also am Donnerstag abend gemütlich ein paar Bier trinken gehen und dann ausschlafen, und ich fahr am Freitag weiter zu Verwandten ... «
»... und ich soll dann am Freitag teuer mit dem Zug nach Hause fahren oder im messemäßig überfüllten Frankfurt ein überteuertes Hotelzimmer suchen, um die Nacht zum Samstag zu überbrücken?« (Am Wochenende wollte ich ein zweites Mal auf die Messe, aber die Jugendherberge hatte zwar von Samstag bis Montag, nicht aber von Freitag auf Samstag noch ein Bett frei gehabt.)
S. sah schließlich ein, daß wir bei unserem ursprünglichen Plan bleiben sollten: Am Donnerstag morgen hin, am Donnerstag abend zurück, auch wenn's stressig sein sollte. Und so klingelte ich denn morgens um 6 bei S., und wenig später saßen wir beide in seinem Kleinwagen und rollten gen Stuttgart. Selbst zu diesem frühen Zeitpunkt war die B 27 schon sehr belebt; ohne die (unbeliebten) neuen Pförtnerampeln an den Zufahrten rund um Filderstadt wäre der Verkehrskollaps jetzt schon da, nicht erst um halb 8. Als wir uns der A 8 näherten, war dort schon ein Riesenstau, vermutlich bis Leonberg - wir fuhren durch die Stadt und dann nördlich davon auf die A 81.
Ich löste S. am  Steuer ab, denn der wollte an seinem Laptop arbeiten und hatte außerdem noch weniger Schlaf gehabt als ich: Am Vorabend war er mit dem frischrenovierten Campingbus und einer Bekannten in Stuttgart im Kino gewesen und dann noch auf einen Wein in einem Lokal - und dann hatte er den Campingbus nicht mehr aus der inzwischen geschlossenen Tiefgarage holen können. Taxi kam für ihn nicht in Frage, und bis ihm dann das Herausholen des Busses durch den Wirt einer Kneipe nebenan doch noch gelang, war die halbe Nacht schon vorbei. (Als mich S. 2011 auf meinem Buchmessenstand besucht und auf meine Lesung begleitet hatte, hatte er nachts sein Auto mangels Kleingeld - 11 € lautete der Preis - auch nicht mehr aus dem  Messeparkhaus Rebstock auslösen können, mußte einem anderen Besucher den Ausfahrtschein abkaufen.)
Mit dem heute auf deutschen Autobahnen üblichen Wechsel zwischen freier Fahrt und Stau erreichten wir nach rund 3 Stunden Fahrt Frankfurt - rein ins Parkkhaus Rebstock, dann trennten sich unsere Wege: S. nahm den Shuttle-Bus zur Halle 3, ich den zur Halle 8, wo ich über den Eingang Galeria gewissermaßen »von hinten« ins Messegelände eintrat. Lang war der Fußmarsch bis in Halle 4, wo ich erst mal eine Messe-FAZ abgriff (die des Vortags hatte die Hallenaufsicht diesmal nicht, ich mußte sie mir irgendwo besorgen, etwa dort, wo in Halle 5 einige Orientalen ihre Stände nicht bezogen hatten und daher alte Prospekte und Zeitungen herumflogen und -lagen) und auf die Suche nach alten Bekannten ging: Die »Künstlerin« hatte ihren (vergrößerten) Stand jetzt eine Reihe weiter und erzählte mir am Donnerstag, Samstag und Sonntag sehr viel davon, wie sie - sie ist sehr begeisterungsfähig - irgendwelchen ukrainischen Fotografen und deutschen Lyrikern zu Aufträgen verholfen hatte.
GOLIATH eroberte nicht mehr die Welt, sondern mußte wegen des Absatzrückgangs kleinere Brötchen backen, aber immerhin, für eine Vitrine in der Durchgangshalle reichte es noch, und der Stand war schön wie eh und je. Unsere Bekannte von den zwei letzten Buchmessen war zwar nicht mehr als Messegirl dabei, aber das Wiedersehen mit den Verlegern erfreute - auch wenn sie ein wenig sauersüß lächelten, als sie merkten, daß ich all meine »Dates« an ihren Stand bestellt hatte.
Fast alle. Arne Hoffmann traf ich woanders, in Halle 3.1., wo er nach unserer Verabredung noch ein Treffen mit einem seiner anderen Verlage hatte.
Zuvor wollte ich aber bei der Signierstunde des Emirs von Schardscha dabei sein; die veranstaltete der u. a. auf Orientalica spezialisierte Olms Verlag, der die - man höre und staune - zweibändige Biographie des Herrschers verlegt hatte. Man erinnere sich: 2011 hatte ich der Eröffnungsveranstaltung der Frankfurter Buchmesse beigewohnt, hatte Westerwelles langweiliger Rede gelauscht und bei den isländischen Beiträgen auf die Übersetzung verzichtet. Der knorrig-altertümliche Klang des Isländischen war mir interessanter gewesen als die literarisch verbrämte Selbstbeweihräucherung der Vulkaninsulaner. Am Ende der Veranstaltung verkündete dann der Mann am Mikrophon: »Bitte warten sie auf Ihren Plätzen, bis die Ehrengäste alle ausmarschiert sind« - und zu denen gehörte auch »der Herrscher von Schardscha«. Ich hoffte auf einen Mann im Nachthemd mit einem Gefolge tiefverschleierter Frauen, entdeckte aber nichts dergleichen und war etwas enttäuscht. - Auch jetzt konnte ich beim Stand des Olms Verlags zu vorgesehener Stunde zwar einige orientalisch wirkende Herren in korrekter (europäischer) Kleidung sehen, aber keinen Emir. Vielleicht übersah ich ihn ja einfach, denn ich hatte natürlich mal wieder nach einem Herrn mit Geschirrtuch und Gummibändern auf dem Kopf Ausschau gehalten, und dabei war der Emir doch vielleicht wieder »in Reisekleidung« erschienen, d. h. in Anzug und Krawatte, so wie am Vortag beim Abendempfang des Olms Verlags, wo er (laut Messe-FAZ) von diversen Lobrednern ob seiner arabischen Version von Demokratie gepriesen worden sei, wodurch der gleichfalls anwesende Hans Magnus Enzensberger immer wieder ins Kichern gekommen sei.
Seltsam eigentlich: Kaum hatte ich keinen eigenen Stand mehr auf der Buchmesse, hatte ich mehr Termine als je zuvor. Ich traf mich mit einem Autor, der anderswo schon als Autor Geld verdient hatte und nun ein SM-Manuskript schrieb, das aber jugendschutzrechtlich problematisch war. - Ein Journalist, der in einem Sabbatjahr einen nicht sonderlich originellen, aber flotten SM-Roman geschrieben hatte, hatte zwei Tage vor der Messe einen Rückzieher gemacht: Er habe sich für einen anderen Verlag entschieden, der wilder und heißer auf sein Manuskript gewesen sei, als ich es war. Na dann ...
Noch einmal ein Rundgang durch die Hallen, soweit die Zeit reicht. Paßgenau zur Buchmesse erschien die 1000. Ausgabe der Jungen Freiheit, die einen himmelwärts zischenden Supermann auf dem Titelbild zeigte. »Unglaublich!« dazu die Gedankenblase einer hübschen Beobachterin, und unten der Vermerk: »Garantiert ohne Grass-Gedicht!«
Beim Stand der »Künstlerin« traf ich S. wieder, und nach dem Schlußgong gingen wir gemeinsam zur Garderobe am Ausgang Galeria, wo ich meine Überklamotten auslöste, dann zum Bus und dann ins Auto. Trotz seines Schlafmangels war S. durch die vielen interessanten Messe-Erlebnisse ziemlich aufgedreht. In Tübingen gingen wir noch ins irische »Saints and Scholars«-Pub im Universitätsviertel, in dessen Nähe S. seinen Campingbus abgestellt hatte. Mit dem brachte er mich dann noch zu meinem Auto und ich mich anschließend mit demselben nach Hause, wo ich gegen Mitternacht ankam ...

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