4.6.23

Sommerfrische am Ende der Welt - Teil I: 100 Arschtorpedos für die Freitagspuper


Beim Rückwärtsausparken nicht ins Hafenbecken plumpsen! Mutriku im spanischen Baskenland (Bild: Wikipedia). Etwa da, wo der weiße Van steht, stand auch meiner ... 

„Sommerfrische“ – welch schönes altmodisches Wort! Es drückte einst, so vor etwa 100 Jahren, aus, daß der Sommerurlaub an der See oder an den Bergen eine Erfrischung, ein Labsal für die Urlauber sein soll – nicht ein Streß oder eine Plage.

Seit dem Umzug im Herbst 2021 von Nehren bei Tübingen nach Horb-Rexingen stand mein Plan: Einen (Groß-)Teil des tristen Winters möchte ich statt im tristen Deutschland irgendwo an einem netten, billigen Platz im Süden verbringen, fernab von den oft nervigen deutschen Diskursen und Befindlichkeiten. Die Zeit könnte man zum Beispiel dazu nutzen, viel zu schreiben und richtig voranzukommen bei neuen Romanprojekten.

2021/22 ging's noch nicht – zu viel Coronamaßnahmen.

Herbst 22/23: „Ab nach Tarifa an der Südspitze Spaniens“ dachte ich mir. Doch die billigen Surferhostels waren für Januar und Februar schon ausgebucht. Auch mußte ich noch meine Steuererklärung machen – was sich wegen Unlust bis über Ostern hinzog.

Aber jetzt! DI 9.5.'23 ging's endlich los. Das Koe23 in Horb hatte als Tagesessen u. a. Zürcher Geschnetzeltes zu bieten (war im Nu ausverkauft), passenderweise, denn ich wollte eigentlich zunächst einen Abstecher in die Schweiz machen. Dann entschied ich mich jedoch dagegen, fuhr über den Schwarzwald nach Freiburg und auf die Autobahn Richtung Mülhausen. Wie üblich fuhr ich zu früh von der Autobahn ab, nämlich bei Beginn der Mautpflicht, statt zwei Dutzend Mautkilometer weiter direkt auf den Abzweig nach Vesoul. So kam ich in den Genuß des Feierabendverkehrs in Belfort. Hotels gab's einige, aber leider zu teuer und mit knappem Parkraum. Auch Apotheken gab's frankreichtypisch viele mit ihren grünen, fantasievoll animierten Leuchtkreuzen. An einer, die Platz zum Halten hatte, legte ich den Grundstein für mein geplantes Mitbringsel für mich und die beste Domina von allen: mindestens 100 Arschtorpedos für die Freitagspuper. Das hatte ich mir fest vorgenommen.

Endlich fand ich die Straße nach Vesoul. Immer wieder pladderte der Regen. Kein Tag ohne Schauer.

In Vesoul war der Abzweig nach Dole wegen eines Unfalls gesperrt. Also wieder in die Stadt. Das Hotel am zentralen Platz sah teuer aus, die Hotels am Stadtrand waren's sicher nicht minder. Ich parkte nahe dem zentralen Platz. In zwei Kneipen konnte ich bis zu deren Schließung um neun bzw. zehn noch die mir selbst auferlegten mindestens 500 Worte schreiben: die nicht viel längere Kurzgeschichte „100 Arschtorpedos für die Freitagspuper“

Die beste Domina von allen pflegt nämlich freitagnachmittags Gäste zu empfangen, die, frisch ins Weekend gestartet, gewindelt vor ihr erscheinen, unter ihr Aufsicht in die Windel brunzen und/oder kacken und sich dann von ihr so nach Hause schicken lassen, mit der Maßgabe „Die bleibt jetzt 24 Stunden dran – verstanden!?“ Auch ich hatte mich am Freitag vor meiner Abreise erstmals diesen Freitagspupern beigesellt („Reisevorbereitungen mit dreckiger Windel – klar!?“) …

Die französischen „Eductyl“-Zäpfchen sind doppelt so gut und ein Viertel so teuer wie die deutschen Dulcolax-Zäpfchen, na ja, fast … Grund genug, bei einer Reise durch Frankreich einen Vorrat anzulegen. Denn außerhalb Frankreichs habe ich die noch nicht gefunden. Und Apotheken gibt’s reichlich im schönen Frankreich.

Für die Nacht fuhr ich an einer Ausfallstraße auf den breiten Kiesstreifen neben der Straße und machte es mir, so gut es ging, auf dem „heruntergedrehten“ Beifahrersitz bequem, benutzte meinen dicken Schlafsack, kein Daunenschlafsack, aber fast so gut und viel billiger, als Decke und ein mitgebrachtes Kissen als Kopfkissen unter der Kopfstütze.

Leider wurde das Dösen dadurch erschwert, daß alle paar Minuten ein Vierzigtonner auf der Straße vorbeidonnerte und bei mir die Hütte wackelte. Reichlich frisch wurde es gegen Morgen auch.

MI 10.5.: Immerhin war der Abzweig Richtung Dole wieder frei. Eine weite, dünnbesiedelte, ziemlich flache grüne Landschaft empfing mich, manchmal etwas langweilig, oft aber das Auge erfrischend im Vergleich zum übervölkerten Mitteleuropa.

Und weiter Richtung Westen, Richtung Chalons-sur-Saone. Ganz flach war es jetzt. Die weitere Straße Richtung Westen war eine beliebte Mautflüchtlingsstrecke Richtung Westküste/Bordeaux, mit Schildern (sogar in deutscher Sprache) wie „nicht einschlafen“ …

Ab und zu muß man aber doch mal einen Abschnitt mit Maut durchfahren, diese Pest breitet sich überall aus. Als ich mich gerade, nach dem Gelde kramend, einer Zahlstation näherte, grätschte von rechts ein Transporter mit Anhänger vor mir rein, und in Sekundenschnelle war's um die Befestigung der Stoßstange vorne rechts geschehen, sie hing nur noch traurig, wenn auch nicht verkehrsgefährdend runter. Bevor ich den Transporter stoppen konnte, hatte er seine Maut in den Automaten geworfen und war verschwunden.

Guérét ist ein freundliches Städtchen etwa in der Mitte der Strecke Rhonetal-Bordeaux, ein beliebter Zwischenhalt. Zwei Hotels am Stadtrand sind teuer, über 80 Euro, eins liegt mit 55 Euro unter meiner Schmerzgrenze, ist aber vollautormatisch: Check-In mit der Kreditkarte – die ich jetzt wieder habe, aber zu Hause gelassen hatte; außerdem zwei Kilometer von den Kneipen entfernt. Dicht bei denen liegt ein Hotel für rund 65 Euro – oder soll ich sagen: „lag“? Alles zu inzwischen. Immerhin hat eine Bar am riesigen Marktplatz inzwischen Delirium red, das belgische Kirschbier. Und Apotheken gibt’s auch. Also die Enttäuschung mit „Delirium red“ runterspülen und wieder ans Steuer, weitere Kilometer kloppen Richtung Bordeaux … So spät ist es ja noch nicht …

Nördlich von Angouleme fahre ich von der (Gratis-)Autobahn ab, weil ein Schild eine Übernachtungsmöglichkeit verheißen hatte, die ich aber nicht finden konnte. Immerhin gab's in dem hübschen alten Dörfchen eine Kneipe, die noch bis 9 aufhatte und mir außer Bierchen noch genug Zeit gab, um mein Minimalquantum von 500 Worten zu absolvieren.

Dann schloß die Kneipe, und ich fuhr mit dem Auto auf einem Sträßchen aus dem Dorf, das wohl zu einem Nachbardorf führte. Links zweigte eine breite Straße zu irgendeiner Einrichtung ab – da stellte ich mich hin und erlebte auf dem Beifahrersitz eine sehr ruhige Nacht; bis zum Morgengrauen kaum ein Auto – sofern ich das überhaupt bemerkte, denn ich schlief wie ein Stein.

DO 11.5.: Ein Zug aus der Colaflasche, und weiter geht’s. Über Bordeaux Richtung spanische Grenze. Allmählich sollte ich mal nachtanken, aber noch unangenehmer als bei Guérét fiel mir auf, daß immer mehr französische Tankstellen nur noch Kreditkartenbezahlung akzeptierten. Vor Bayonne wechselte ich wieder auf die Landstraße, denn erstens wird die Autobahn dann wieder gebührenpflichtig, und zweitens findet man abseits der Autobahn vielleicht eher eine preiswerte Übernachtung oder eine Tanke mit Barzahlung.

Letzteres erfüllte sich nicht, aber man sah z. B. eine Bar mit preiswerter Übernachungsmöglichkeit und belgischem Kirschbier. Bei einem solchen fragte mich der Wirt: „Vacances? Ferien?“ – „JA!!“

Es war natürlich eine Quälerei, durch die ganzen dichtgedrängten Orte der französisch-baskischen Küste zu schleichen (Bayonne, Biarritz …), aber es eröffnen sich mancherlei Ausblicke, mal aufs Meer, mal auf die Pyrenäen, die immer wieder überraschend auf einmal im blauen Dunst auftauchen – nur keine Ausblicke auf eine Bargeld-Tanke. – Mit den letzten Litern rolle ich in Hendaye über die spanische Grenze, und prompt kann ich in die nächste Bargeld-Tanke rollen, und billiger als in Frankreich ist's auch …

Zarautz steuerte ich nun an, den Badeort westlich von San Sebastian, der den längsten Sandstrand des ganzen Baskenlandes haben soll, vielleicht 200 Meter … (Die baskischen Küstenstädtchen sind, ähnlich wie bei der italienischen Riviera, so steil, hoch und eng in die Falten der steilen, grünen baskischen Berge gebaut, daß man kaum einen Fuß auf den Boden kriegt, geschweige denn einen Wagen geparkt. Die Strände sind winzig.) Aber auch im ziemlich flachen Zarautz ist alles voll, und das war schon mal so, als ich dort vor Jahren vor einem verlängerten Wochenende im Stau stand: Alles voll, die Hotels, die Straßen voller Autos und Fußgänger – mit Mühe fand ich damals unter „Agroturismo“ ein kleines Hotel in den Bergen, mit fantastischem Ausblick zum Meer. Alles ist bergiger, intensiver, schöner im spanischen Baskenland, und am liebsten würd' ich aus der Wikipedia noch ein Dutzend Fotos beifügen. Fährt man als Neuling aber staunenden Blickes (und um nicht in einen Abgrund zu plumpsen) langsam, hat man bald einheimische Drängler hinter sich …

Also raus aus Zarautz und westwärts. Auf eine dritte Nacht im Wagen hatte ich keine Lust mehr, und so ließ ich mich von dem Angebot eines schönen und schön teuren Panoramahotels hoch über dem Meer ködern: Eine Nacht mit Frühstück für einen Hunderter.

Dann noch mal ins Auto und ins nahe Mutriku, eine von diesen sehr engen, schmalen, hohen Küstenstädtchen (siehe Bild oben). In einer Hafenkneipe bei zwei, drei Bier (kleineren als in Deutschland) das Quantum von 500 Worten absolviert und dann mit Mühe zehn Minuten lang ausgeparkt und gewendet, ohne nach hinten über die Kaimauer zu plumpsen …

Zurück in mein Luxushotel, wo man die Türen mit seinem Fingerabdruck öffnet – im Prinzip wenigstens. Bei mir funktioniert's kaum einmal, ich muß immer Hilfe rufen.

Herrlich der Blick über den kleinen Pool und, tief darunter, die Biskaya – und über alles peitschte mal wieder ein Regenschauer. Wenn das im Winter noch stürmischer ist, und das ist wahrscheinlich – Winterbilder von Zarautz zeigen die umliegenden Hügel im Schnee, Strand und Stadt bleiben gerade noch verschont –, sollte man für das Winterquartier zum Schreiben doch lieber was Südlicheres suchen …)

Gut' Nacht für heut, Leut'! (ca. 1450 Worte)

Aber hier noch ein Betthupferl: Strand an der Grenze von Mutriku zu Ondarroa: 

 

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