11.6.23

Sommerfrische am Ende der Welt - Teil V: Von der Bidassoa zur Biergrenze

Die komplizierteste Grenze der Welt (Teil 1) – Passport Party

Der Getränkemarkt "De Biergrens" in Baarle

Nahe dem spanischen Grenzlokal verlief der spanisch-französische Grenzfluß Bidassoa. In ihm liegt die Fasaneninsel, die halbjährlich abwechselnd von Spanien und Frankreich verwaltet wird – das wohl kleinste Kondominium der Welt. Hier wurden schon Friedensverträge, Geiseln und Bräute ausgetauscht …
Auf der Autobahn zunächst Richtung Bordeaux, dann Richtung Dax und Mont-de-Marsan. Auf einsamen Sträßchen nordostwärts, was manchmal entspannend ist – wenn wenig Betrieb ist; ist viel Betrieb, sind einem pausenlos ungeduldige Laster und Pkw im Nacken; das habe ich an diesen Tagen vor Pfingsten ganz unterschiedlich erlebt …
Allmählich muß ich wieder tanken, und was soll ich sagen: Manchmal muß ich fünf Tankstellen anfahren, bevor ich endlich eine finde, die gnädigerweise Bargeld akzeptiert.
Der Tag neigt sich zum Abend, und ich frage mich, ob ich mich schon wieder auf eine Nacht im „Hotel Dacia“ gefaßt machen soll. So langsam reicht es mir.
Da! Am Ende eines durchfahrenen Orts ein Schild: BAR HOTEL. Doch überlebt hat nur die Bar; ich trinke ein Bierchen und versuche es auf Anraten des Wirts 300 Meter vorher. Ja, da ist ein Hotel, durchs Fenster kann man den eingedeckten Frühstücksraum sehen, ein riesiger Laster parkt auf dem gekiesten Parkplatz, doch die Eingangstür ist nur mit einem Zahlencode passierbar, und niemand läßt sich sehen oder hören. Also weiter. Seufz.
Doch unverhofft kommt oft: 13 km nördlich von Bergerac plötzlich ein kleiner, hübscher Ort mit gleich mehreren Hotels; anscheinend auch ein beliebter Lkw-Übernachtplatz.
Sehr guter Salat, Bier, ein etwas rustikales, aber passables und vor allem nicht zu teures Zimmer, Dusche, eine erquickende Nachtruhe … Wohlig seufz :-)
FR 26.5.: Weiter über Nationalstraßen nach Norden bis Nordosten. Freundliche, grüne Landschaft, dünn besiedelt, aber leider ohne Berge und Meer für mich auch etwas langweilig, wenig Betrieb auf der Straße.
Irgendwann erreiche ich wieder Guérét, das freundliche kleine Städtchen in Frankreichs Mitte. Ich parke auf dem riesigen Marktplatz, ziemlich am unteren Ende, verziehe mich in das wohlbekannte Café am oberen Ende, versuche das Schreibdefizit nicht zu groß werden zu lassen …
Leider schließen die Cafés am oberen Ende des riesigen Platzes schon etwa um 20 Uhr, und das am Freitag, eines im mittleren Teil immerhin erst nach Mitternacht, und ein großes am unteren Ende schien das angesagteste Szenelokal zu sein, noch weit nach Mitternacht war es vom Party People so umlagert, daß viele nur einen Stehplatz fanden. Zum Glück schirmte ein großes Gebäude, das Gerichtsgebäude, glaube ich, mein geparktes Auto fast ganz vom Lärm des Partyvolks ab.
Die „mittlere“ Kneipe, nicht ganz so turbulent, die ich mir erwählt hatte, lag neben dem pompösen, riesigen Rathaus – ein Rathaus, das für eine zehnmal so große Stadt angemessen wäre …
Ein freakiger Althippietyp kam mit allen ins Gespräch, auch mit mir. Ich war mir mit ihm rasch darüber einig, daß „la politique est une vraie catastrophe“, die Politik eine einzige Katastrophe ist.
SA 27.5.'23: Als die Bar nach Mitternacht schloß, verzog ich mich ins Auto und döste noch einige Stunden vor mich hin, bis es im Morgengrauen lebhaft wurde, denn es war Markttag. Ich verzog mich mit meinem Auto an den Waldrand und döste noch ein paar Stündchen weiter.
Dann Weiterfahrt nach Norden. Gemütlich war's heut' auf den Landstraßen, die Lkws fehlten, und es war eine sehr gemütliche Fahrt durch weites, grünes und ziemlich flaches Land, ziemlich dünnbesiedelt. Nur das Fehlen von Tankstellen mit Bargeldakzeptanz störte.
Bei Orléans hatte ich schließlich genug und bog auf die gebührenpflichtige Autobahn ein, tankte und rollte mich – wieder einmal - auf dem Beifahrersitz für die Nacht zurecht.
SO 28.5.'23: Weiter nordwärts Richtung Paris. Die letzte Zahlstelle, bevor die Autobahn bei Paris gebührenfrei wird. Es sind vielleicht zehn Schalter, und im Gegenlicht kann ich kaum erkennen, welcher vielleicht Bargeld akzeptieren könnte …
Der meine jedenfalls nicht. Ich hatte mein „Ticket“ in den Schlitz geschoben, 23,80 € mußte ich zahlen – aber wie? Bar jedenfalls nicht … Es war auch kein „Abbruch“ möglich und kein Wechsel auf einen anderen Schalter; eine Frauenstimme erklärte mir auf englisch, ein anderes „Ticket“, eine Rechnung, zu Hause zu bezahlen … (muß ich auch noch machen:-(*
Die Autobahnen um Paris sind auch am Sonntag eine Katastrophe. Weiter nordwärts nach Lille. Ich wollte gleich weiter über Gent nach Antwerpen fahren, aber irgendwo muß ich mich wohl fehleingeordnet haben … Erst mal auf der ersten belgischen Autobahnraststätte ein Bierchen (auf französischen gibt’s keine mehr).
Weiter über den Brüsseler Ring und dann nordwärts. Antwerpener Ring. (Die schönen Flecken in Europa sind durch zu viele häßliche, öde und stressige Autobahnkilometer getrennt.) Endlich war ich in Baarle, dem niederländisch-belgischen Doppeldorf, wo die Gäste beim Abendsonnenschein im Zentrum in den Straßencafés saßen, darunter in solchen, wo man den Oberkörper nach Belgien neigt und die Füße in den Niederlanden parkt (oder umgekehrt)  – und meine „Stammresidenz“, das Hotel zum Bunten Ochsen, hatte auch gleich ein Zimmer frei, wie üblich ein bißchen schrottig (irgendwas funktioniert immer nicht), auch 50 Euro teuer mit Frühstück statt 35 – aber ich schien fast der einzige Gast zu sein.
Schön, diesmal auf drei Nächte hier zu sein! Ich bestellte mir eins dieser bläßlichen, kleinen Jupiler**-Pilse nach dem anderen und machte mich daran, mein Schreibdefizit zu verkleinern.
Draußen wurde es frisch. Die Tür wurde geschlossen. Die Anwesenden bemühten sich, die Gaststube gemütlich vollzuqualmen. Ganz wie früher.
Um halb elf etwa hatte ich genug geschrieben und genug Bettschwere und sank ins schwabbelweiche Bett, wohligen Träumen entgegen … (ca. 881 Worte) 

**Sprich: „Schüppiler“, mit einem weichen, stimmhaften S wie in „Journalist“, keinesfalls „Jupiter“, wie es irrtümlich manchen Deutschen passiert, auch mir. Diese meistverbreitete belgische Biermarke, ein bläßliches Pils, ohne Schaumkrone serviert (eher wird der Schaum da noch mit dem Messer glattgestrichen), ist wohl nach Lüttichs Vorstadt Jupille benannt. 

*Als ich es mit Verspätung tat, war auf dem Bildschirm zu lesen: »Kein Dossier für dieses Kennzeichen«. Da hatte mir die mitleidige Angestellte wohl die Maut erlassen ...  

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Hoch die Tassen! Auch die Kleinen! Auf in den fröhlichen Mai! :-) + Nachtrag

Ja, nicht die kleinen Tassen sind gemeint, sondern die lieben Kleinen. Bis 1956 waren - siehe links - Cidre, Bier und Wein in französischen ...