14.10.14

Frankfurter Buchmesse 2014 - top oder flop? - (+ 2 Nachträge)

Letzten Mittwoch war mein Freund S., der Journalist, mein »Messeboy« von 2010, wieder einen Tag lang auf der Frankfurter Buchmesse, am Eröffnungstag, und er schwärmte von einem rauschhaften Erlebnis (»totaler flash«), abends noch essen gegangen mit Literaten, mitten in der Nacht wieder daheim angekommen, völlig erschöpft; demgegenüber der Journalist Klonovsky:

»Die Stimmung auf dem Frankfurter Bücherbasar ist heuer recht durchwachsen bis gedrückt; an mehreren Ständen höre ich Prognosen wie: Noch zwei, drei Messen, dann ist es sowieso vorbei. Für viele Verlage lohnt es sich kaum mehr, hier aufzukreuzen, die angebahnten Geschäfte decken kaum die Standgebühren. Wie bekommt eigentlich, fragt man sich, der Pleitier Suhrkamp seinen nach wie vor recht pompösen Auftritt hin – zahlt das Frau Berkéwicz aus der Schatulle? Nur die Mienen der Angestellten wirken, sofern nicht alles täuscht, etwas weniger staatstragend als ehedem.«

Nachtrag: Ein weiterer Beobachter:

»Vergeblich suchte man die linksradikalen Verlage im Gang A der Halle 3.1. Nur noch die Junge Welt ist geblieben. Unrast  & Co. sind dieses Jahr nach 4.1 ausgewandert, doch was man dort antrifft, ist ein kläglicher Rest von dem, was noch vor etwa zehn Jahren nach Frankfurt kam. Dasselbe gilt erstaunlicherweise für die Esoteriker. Jahrelang vergrößerten sie ihre Ausstellungsflächen in der Religionsabteilung. Dieses Jahr war die Zahl stark geschrumpft, und die Verbliebenen sind in den Hallen zerstreut. [...] Eines der wichtigsten Themen auf der Buchmesse war die Frage, welche neuen Möglichkeiten Internet und Digitalisierung eröffnen, um Texte zu veröffentlichen. Hierfür wurde in der Halle 3.1 eine ›Self-Publishing Area‹ eingerichtet. In einer fast lückenlosen Abfolge von Vorträgen und Podiumsdiskussionen konnte das Publikum erfahren, wie man zum unabhängigen Verleger wird. Inzwischen gibt es etliche Portale, wie etwa Tredition oder Ruckzuckbuch, die dies unkompliziert ermöglichen. Auch einige der großen Verlagsgruppen, wie zum Beispiel Holtzbrinck mit ›epubli‹, dringen in dieses Marktsegment ein. Viele Titel, die auf diese Weise publiziert werden, sind von zweifelhafter Qualität. Doch für manche ist das eine gute Alternative zum klassischen Verlag: Für den [...] Journalisten, der so in wenigen Stunden seine Artikel zu einem bestimmten Thema in Buchform anbieten kann. [...] Für 2015 hat die Buchmesse manche Änderungen angekündigt: Die weit entfernte Halle 8 wird aufgelöst, die englischsprachigen Verlage kommen in die Halle 6. Auch wird es eine neue Hallenaufteilung in Halle 3.1 geben. Generell soll die Platzierung der Stände mehr nach ›Zielgruppen, Themen und weniger nach Ländergrenzen‹ strukturiert werden.«

Weitere Beobachter: 

Keine Messe-FAZ mehr! 

 »Auf der Buchmesse in Frankfurt gab es unter Journalisten zwei Top-Gesprächsthemen: die Zeitungskrise und den Aufstieg der AfD. Der Medienwandel, der nicht nur die Zeitungsverlage erfaßt, er bewegt auch den Buchhandel. Die Besucherzahlen waren in Frankfurt rückläufig, und in einigen Messehallen klafften große Lücken, weil einige Verlage sich von der traditionsreichen Messe zurückgezogen haben. Die schon lange debattierte Revolution des Internets – die Folgen waren hier mit Händen zu greifen. [...]

Erst vor wenigen Wochen war bekanntgeworden, daß die FAZ die größten Einsparungen ihrer Geschichte vornehmen und 200 Stellen im Verlag abbauen will. In früheren Jahren produzierte die FAZ eine aufwendige tägliche Messe-Sonderausgabe – sie fiel in diesem Jahr dem Rotstift zum Opfer. [...]
›Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran.‹ So hätte das Motto der 66. Frankfurter Buchmesse lauten können, zumal hier am 1. November in der Festhalle das Konzert von Udo Jürgens folgt. Die Tournee des heute 80jährigen steht unter dem Motto ›Mitten im Leben‹. In diesem, wie wir seit Luther wissen, ›sind wir vom Tod umfangen‹. Das paßte auf den Zustand der Messe, deren Aussteller- und Fachbesucherzahl erneut – diesmal um drei beziehungsweise zwei Prozent – zurückging. [...] 

Laniers aktueller Titel ›Wem gehört die Zukunft?‹ (Hoffmann & Campe) konnte derweil vom unwissenden Besucher ebenso auf die jährlich zunehmende Schar verkleideter Halberwachsener bezogen werden, die die Messegänge verstopften. Schließlich wurde hier parallel die deutsche Vorausscheidung der Cosplay-Meisterschaft in der Paar-Disziplin ausgetragen. Die Infantilisierung der Gesellschaft, die sich an dieser Stelle offenbarte [...]
Bleibt die Erkenntnis, daß das Leben wohl doch erst mit 66 anfängt. Bester Beweis dafür ist die Legende Peter Berling, der seinen Esoterik-Roman über das Dritte Reich, ›Der Chauffeur‹ (Europa-Verlag Berlin), vorstellte. Möglich war dies nur auf der ›Open Stage‹-Bühne, da Berling dort seine Zigarillos rauchen konnte, die ihn – zwanzig Stück am Tag – am Leben erhalten. Mit seinen achtzig Jahren, ebenso alt wie Udo Jürgens, war er der älteste Autor auf der Buchmesse.«  

(Aus der papierenen Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT)           

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