13.6.12

Stellt euch vor, alles wäre nur noch Oper und Arie ...

Aus den Bekenntnissen eines Fußballmuffels, vorgetragen in einem Online-Forum:

Gegen Sport per se kann nichts gesagt werden. Auch professioneller Sport und Wettkämpfe sind völlig okay.
Der Ärger betrifft die übermächtige Präsenz solcher Anlässe. Dieser Imperativ, welcher Zweifel aufkommen läßt, wie sehr wir autonom denkende Wesen sind. Wie ich auch schon notiert habe, bezahlen wir auch mächtig dafür, ohne es zu merken.
Ersetzen wir doch mal Tennis- oder Fußballturniere durch Operninszenierungen.
Morgen findet die Opernaufführung in der Stadt x statt, und die Besetzung y gibt ihr Bestes.
Ein Dutzend Mal am Tag wird bei allen öffenlich-rechtlichen Nachrichtensendern darüber berichtet, wer gerade in der Besetzung war, wie die Aufführung beim Publikum angekommen ist und ob diese Aufführung besser sei als jene mit der Truppe z.
Dabei wird nicht versäumt mitzuteilen, wann, wo und wer in den nächsten Tagen anderes aufführt. Spezielle Sendungen werden geschaffen, bei welchen von Insidern und Fachexperten diskutiert wird, ob mit der Stimme von x vielleicht doch nicht alles i. O. war, ob man vielleicht diesen Sänger nicht durch den anderen ersetzen sollte. Anschlißend werden noch Zahlen publiziert, die ein Ranking der letzten 50 Traviata-Aufführungen darstellen, es wird diskutiert, auf welche Position wohl die letzte Aufführung zu plazieren sei.
Natürlich darf auch mal über die Gagen gesprochen werden, über die Wechsel in andere Künstlerbesetzungen.
Und immerfort muß man sich die Rossinis, Donizettis und die Verdi-Ausschnitte wieder anhören oder anschauen.
Des weiteren folgen Berichte über die Scala di Milano, welche eben renoviert wurde, oder ob die Akkustik in der Wiener Oper doch noch zu optimieren sei.
Werbepause: Ein italienisches Nestlé-Tochterunternehmen macht Werbung für Fixfertig-Aufback-Lasagne.
Nun sprechen wieder die Fachleute. Und siehe da, ein Künstler trabt an und wird befragt. Es ist eine Primadonna, die ihre Stimme schonen muß. Daher fallen die Antworten kurz aus. Akustik? Gut! Weitere Termine? Kurz aufgezählt. Zufrieden? Ja, tolles Team. Könnte es noch besser werden? Wir hoffen es ...
Endlich ist die Sendung vorbei.
Doch schon in den nächsten Nachrichten wird die besagte Primadonna zitiert. Ihre knappen Aussagen werden zusammengefaßt wiedergegeben.
Eigens dafür bezahlte Opernredakteure steuern ihre Interpretationen bei ...
Man schaltet das Radio ab und fährt zur Arbeit.
»Hast du schon von der gestrigen Aufführung gehört?« lautet die erste Frage des Kollegen ...
Die Kollegin schwärmt für den berühmten Tenor. Er habe eine so schöne Stimme, eine tolle Präsenz, und mit ihm zusammen würde sie *träum* die ganze Welt bereisen können.
Man wendet sich ab, geht auf einen Kaffee in die Pause. Die Becher sind mit Opernstars bedruckt und Hinweisen auf Festivals.
Man wirft einen Blick auf die Headline einer rumliegenden Zeitung: Oper, Oper ... weiter hinten die erhellenden Detailberichte ...
Der Kragen platzt. Man schreitet zurück ins Büro und bittet den Kollegen, auf folgende Fragen zu antworten:
»Singst Du selber?« - »Nein.«
»Warst du schon mal in der Oper?« - »Einmal vor fünf Jahren.«
»Was gefällt dir daran?« - »Ach, es ist spannend.«
»Warum?« - »Na ja, weil die einen besser sind und die anderen schlechter ... Man kann das nie voraussagen.«
Jetzt platzt es heraus: »Ich mag aber Opern nicht!«
Der Kollege deckt nun einen zu mit: »Ach, du bist ein miesepetriger Mensch! Verbitter oder depressiv. Lustfeindlich. Langweilig. Du bist nur neidisch. Du bist nicht am Puls der Zeit. Das ist nun mal so oder gehört sich nun mal ...«

So ist es. Völlig daneben finde ich auch die Diskussion von Politikern, wer zu welchem Fußballspiel in die Ukraine fährt, völlig unabhängig von Julia Timoschenko und dem Verhalten der herrschenden Polit-Gangsterclique. Die Politiker sollen überhaupt nicht zum Fußballspiel fliegen, sie sollen Politik machen! Oder kann sich jemand Heuss oder Adenauer beim Fußballgucken vorstellen? Oder den Papst? Oder die Queen?
Da bin ich ja direkt froh, daß mein Fernseher seit dem 30. April (Ende des analogen Satellitenfernsehens) keinen Muckser mehr von sich gibt *träller!*

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Hoch die Tassen! Auch die Kleinen! Auf in den fröhlichen Mai! :-) + Nachtrag

Ja, nicht die kleinen Tassen sind gemeint, sondern die lieben Kleinen. Bis 1956 waren - siehe links - Cidre, Bier und Wein in französischen ...