25.3.12

Leipziger Nachgeschmack, Teil II: Mittwoch, 14.3.2012

Um 8.10 Uhr war ich der einzige Gast beim Frühstück. Morgen würde ich nicht mehr so allein sein. Die Leipziger Volkszeitung meldete, die Buchmesse beginne mit neuen Rekorden. Die Zahl der teilnehmenden Verlage stagniere zwar mit gut 2000, aber dafür gebe es erstmals mehr als 1000 Einzelstände.
Offenbar machten es viele so wie Charon und ich: Sie teilten sich einen Stand. Und wie viele Verlage nahmen an der letzten Frankfurter Buchmesse teil? So um die 7000, glaube ich. Daran sieht man, wieviel kleiner die Leipziger Buchmesse ist. Die großen Fachverlage mit Geld (Jura, Naturwissenschaften, Steuern) fehlten, soweit ich sehen konnte, weitgehend, ebenso die billigen Druckereien aus China oder Osteuropa. Die machten es sich einfacher – sie schickten einfach (wie schon häufig in Frankfurt) ihre Leute von Verlagsstand zu Verlagsstand. (Jeder Verleger ist umlagert von Angeboten von Druckereien.)
Entspannter und lockerer als die Frankfurter war die Leipziger Buchmesse allemal, mehr Platz, breitere Gänge, weniger Gedrängel, billigere Stände (und auch solche Werbematerialien wie von der Decke hängende Banner waren viel billiger), billigere Hotels – aber auch weniger Umsatz, das bekamen wir zu spüren.
Vier Tage statt fünf, statt von 9 Uhr bis 18.30 Uhr geht es nur von 10 bis 18 Uhr – da mußte man abends nicht so zeitig ins Bett, und morgens konnte man den Tag entspannter angehen lassen. Erst etwa um 9 pflegte ich mein Hotel zu verlassen, um zum vielleicht 400 m entfernten Augustusplatz zu gehen und dort die Straßenbahnlinie 16 Richtung Messegelände zu besteigen.
Das Hotel »Weißes Roß« liegt passenderweise in Leipzigs altem Buchdrucker- und Graphikerviertel (südöstlich vom Zentrum). Hier druckte Philipp Reclam die ersten Bände seiner billigen »Universalbibliothek« und Arnold Brockhaus seine Lexika-Bände, hier gestaltete der Insel Verlag seine schönen Jugendstil-Bände, hier lebten und wirkten Grieg, Schumann, Mendelssohn-Bartholdy, hier stach und druckte Giesecke & Devrient seit 1852 Banknoten. Wer mag, kann sich im Buch des Journalisten Klaus W. Bender »Geldmacher, das geheimste Gewerbe der Welt« über die diskrete Welt der Banknotendrucker (die keineswegs immer staatliche Firmen sind!) informieren.
Nach 1945 wurde Giesecke & Devrient ein Volkseigener Betrieb – die in den Westen emigrierten Chefs und Mitarbeiter mußten in München völlig neu anfangen und taten es auch erfolgreich.
Die 1912 gegründete Deutsche Nationalbibliothek ist auch nicht weit. Vor 1945 war Leipzig, nicht Frankfurt, DIE Buchhandels- und Verlagsstadt, und sie beherbergte der Welt größte Buchmesse sowie den Börsenverein des deutschen Buchhandels.
Doch dann schlug der Bombenkrieg alles kurz und klein, und den Großteil dessen, was nach 1945 noch übrig war, vergraulten die Kommunisten in den Westen. Eine Jubiläumsbroschüre des Buchgrossisten KNV schilderte vor Jahren, wie das ablief: Des öfteren bekam KNV von russischen Offizieren den Auftrag, z. B. 100.000 Propagandabroschüren zu drucken. Wenn der Chef dann darauf hinwies, daß er das dazu nötige Papier nicht hatte, bekam er nur zu hören: »Du machen Sabotage? Du wollen nach Sibirien?« 1947 hielt er den Druck nicht mehr aus (Enteignung und/oder Verhaftung schienen eh nur noch eine Frage der Zeit), setzte sich mit der Familie nach Westberlin ab und ließ sich von den Amis in den Westen ausfliegen – und baute dort seinen Betrieb neu auf.
Oft war es so, daß nur ein Teil der Verlagsbelegschaft in den Westen »rübermachte«, der Rest jedoch blieb, so daß es heute viele »doppelte« Verlage gibt – Reclam West und Reclam Ost, Diederichs West und Diederichs Ost, Teubner Leipzig und Teubner Stuttgart …
Die in den Westen geflohenen Verlage begründeten dann in Frankfurt einen neuen Börsenverein, eine neue Nationalbibliothek, eine neue Buchmesse (erstmals 1949 in der frisch wiederaufgebauten Paulskirche).
Was damals in den Westen vergrault wurde, kehrte nach 1989 meist auch nicht mehr zurück – oder nur mit einer Niederlassung. Das Hauptquartier und die meisten Arbeitsplätze, das blieb im Westen. Insofern haben die Kommunisten bleibenden Flurschaden angerichtet, nicht nur im Buchhandel, auch in vielen anderen Branchen. (»Aufstieg und Niedergang der Buchstadt Leipzig« hieß ein ganz in der Nähe unseres Standes feilgebotener neuer Titel – aber den kauf ich mir erst jetzt.)
Ein grauer und kalter Tag empfing mich, als ich auf die Straße trat. Die Krokusse in den öffentlichen Anlagen waren noch nicht erblüht, im Gegensatz zu Nehren. Zu Fuß wanderte ich nordwärts zum Johannisplatz, vielleicht 200 m östlich des Augustusplatzes. Ich passierte das Stammhaus von Giesecke & Devrient, umgeben von Zäunen und Überwachungskameras, die Erdgeschoßfenster vergittert – sie sind also wieder zurückgekehrt an ihren Gründungsort, aber das Herz der Firma schlägt jetzt woanders, im Westen.
Wenig später saß ich in der Straßenbahn Richtung Südosten. Vorbei am alten Johannisfriedhof – es gibt sogar eine Führung »Die Verlegergräber auf dem Johannisfriedhof«. Ein abbruchreifes großes Haus eines Buchgroßhändlers aus DDR-Zeiten zog vorüber. Das alte Messegelände, 1996 durch das neue abgelöst. Das Völkerschlachtdenkmal, ein mächtiges, weithin sichtbares Trumm, 1913 zum hundertjährigen Jubiläum des Siegs über Napoleon errichtet.
Rein in mein Auto, durchs Stadtzentrum, nordwärts – und vielleicht eine halbe Stunde später rollte ich aufs Messegelände. Es war 12 Uhr.
In Leipzig darf man in die weiten, ebenerdigen Messehallen mit dem Auto einfahren – was ich aber gar nicht in Anspruch nahm; ich wäre wegen der vielen anderen Autos wohl auch nicht bis zu meinem Stand gekommen. Um den zu finden, brauchte ich mich eigentlich nur dorthin zu begeben, wohin von der Decke eine riesige rote Hand zeigte, denn dort sollten allerlei Lesungen diverser Linksverlage stattfinden. Man hatte uns nämlich in die »Rote-Socken-Ecke« gesteckt, gleich neben den Laika Verlag, benannt nach dem bedauernswerten Hündchen Laika, das die Sowjets 1958 ins All schossen und das nach nur wenigen Stunden starb. Chef des Laika Verlags ist Karl-Heinz Dellwo, Ex-RAF-Terrorist und (das erfuhr ich so nebenbei) Jugendfreund meines Mitausstellers G..
Vis-à-vis davon der Unrast Verlag, dessen Buch "(R )echte Kerle – über die Kumpanei der Männerrechtsbewegung" meinen Autor und Feminismuskritiker Arne Hoffmann Monate zuvor erzürnt hatte. Gegenüber davon der Kulturmaschinen Verlag des SMers und DKPisten Leander Sukov, daneben Pahl-Rugenstein und Graswurzelrevolution, und das Neue Deutschland und die Junge Welt waren auch nicht fern, ebensowenig wie Konkursbuch Verlag und Quer Verlag.
Ich konnte mir schon denken, was die Planer der Buchmesse sich gedacht hatten: Abweichende Sexualität? Na, die stopfen wir mal in die links-grün-alternative CSD-,Queer- und Sozenecke.
Und so waren wir hier wieder nicht in der Halle 3, die auch in Leipzig die Halle der großen belletristischen Publikumsverlage war, sondern wieder in einer Art »Randlage«. Hinter uns waren ein paar leere Wände und dahinter Unternehmen, die für Buchverlage die Produktion von Ebooks anboten – nichts fürs allgemeine Publikum.
Fürs allgemeine Publikum war dann schon eher der Stand gegenüber von uns was, ein unsympathischer, aggressiv verkaufender Verlag lustiger Ansichtskarten, ein Verlag, der seine Postkartenständer ständig weiter in den Gang hinausschob als erlaubt und sich deswegen wiederholt Rüffel von der Messeaufsicht einfing – und auch deswegen, weil er überhaupt verkaufte. Ob er denn eine Verkaufsgenehmigung (gebührenpflichtig) habe? Die brauchte man nämlich, um überhaupt verkaufen zu dürfen – ansonsten war es nur auf der Messebuchhandlung erlaubt, auf den Ständen erst am letzten Tag (Sonntag) ab 15 Uhr. Ein korrekter Schweizer Verlag wollte denn auch meiner Mitausstellerin N. am Sonntagmorgen ein von ihr gewünschtes Buch noch nicht verkaufen, und am Sonntagnachmittag konnte man an manchen Stellen Schilder mit der großen Aufschrift »Wir verkaufen« lesen – und ganz klein darunter: »mit Messerabatt«.
Wie gesagt, Linksverlage gab es reichlich – Rechtsverlage wie Sezession oder Junge Freiheit glänzten aber durch Abwesenheit.
Wegen der Abgase der Autos in der Halle standen die Tore sperrangelweit offen. In ihrer Nähe zog's wie Hechtsuppe, und auch weiter drinnen in der Halle war es kalt. Einmal mußte ich meine Arbeit unterbrechen und auf dem Klo am Heizkörper meine Socken anwärmen, sonst hätte ich es vor lauter kalten Füßen nicht mehr ausgehalten.
»Kulturmaschinen« war mit einem großen Kombi bis direkt an seinen Stand gefahren; ich hatte draußen auf dem Parkplatz geparkt und schob meine Bücher und sonstigen Sachen in drei Fuhren auf einem Handwägelchen an den Stand. Die Regalbretter waren schon fix und fertig in die Wand gesteckt, das mußte man hier in Leipzig nicht selbst machen, vier Strahler waren auch schon da und sorgten für helles Licht – so war ich bald fertig und ging noch ein wenig umher und sah mich um und war um 15 Uhr schon im Begriff zu verschwinden, als die Charonesen auftauchten. Da blieb ich natürlich noch auf ein Schwätzchen …
Rein in den Wagen, raus aus der Messe, rauf auf die Autobahn: Auf der A 14 und der A 38 umfuhr ich Leipzig im Osten, fuhr dann wieder von Südosten in die Stadt und parkte wieder an der Prager Straße, fuhr wieder mit der Straßenbahn ins Zentrum, döste im Hotel wenig vor mich hin, bis um 17 Uhr das Hotelrestaurant öffnete und wieder Gelegenheit für ein schönes Schnitzel mit Kartoffelsalat war.
Für die feierliche Messe-Eröffnung im Gewandhaus sollte ich mich ja eigentlich in Schale werfen – aber Krawatte würde ich in den nächsten Tagen noch oft genug tragen; so beließ ich es bei meinem schwarzen Rollkragenpulli.
Der Süden des Augustusplatzes mit dem Mendebrunnen, dem Gewandhaus und dem 29 stöckigen City-Hochhaus, bei seiner Fertigstellung 1972 das höchste Haus Deutschlands
Wurde man vor dem Eintritt in die Frankfurter Eröffnungsveranstaltung geradezu flughafenmäßig durchgecheckt, so genügte hier ein kurzer Blick auf meine Eintrittskarte, und ich war drin. Um 19 Uhr sollte es losgehen.
Internationales Publikum gab's hier weniger als in Frankfurt; gerade mal eine kroatische Ministerin und ein georgischer Minister wurden als Ehrengäste begrüßt, kein »Herrscher von Schardscha« und kein Bundesaußenminister. Selbst der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich wurde von einem Staatssekretär vertreten, er war mit einem defekten Flugzeug in Frankfurt hängengeblieben.
Der Preis für europäische Verständigung wurde an zwei Historiker (einen Briten, einen Amerikaner) verliehen, die über das Wüten Hitlers und Stalins geschrieben hatten. Nicht das originellste Thema, gewiß, aber z. B. mit den »Memorialmonstranzen von Ingolstadt und Klosterneuburg« kann man keinen Blumentopf gewinnen, geschweige denn einen Preis für europäische Verständigung – ebensowenig wie mit der »Erstellung und Optimierung von Algorithmen zur Messung von Augenbewegungen mittels Video-Okulographie-Methoden«.
Die Preisträger und noch einige andere sprachen nett und meist interessant, der aus Frankfurt eingeflogene Vorsteher des Börsenvereins Gottfried Honnefelder intonierte sein Lieblings- und Leit(d)motiv »Piraten und sonstiges Internet-Gesocks klauen den Verlegern die Urheberrechte«, und zwischen einigen der Reden kamen die feierlich gewandeten Gewandhaus-Musiker herein und spielten den einen oder anderen Satz eines klassischen Stücks (Richard Strauss), vor der vorletzten Rede (der über die Greuel Stalins und Hitlers) passend ein getragen-tragisches Adagio, zum Schluß ein donnerndes Finale, und danach leerte sich das fast bis auf den letzten Platz besetzte Gewandhaus erstaunlich schnell … Wohin rennen die alle? fragte ich mich. Ist doch klar: Zum kalten und warmen Büffet!
Das hatte es in Frankfurt nicht gegeben: Freibier und jede Menge salzige und süße Häppchen, Tiegelchen mit Cremes und Puddings, heiße Hühnerschenkel – und sogar einen riesigen Kessel mit Currywurst gab's; die dafür typischen Wellpapptellerchen hatte man in Porzellan nachgebildet.
Die kleinen Stehtischchen waren aber alle schon mit schwatzenden Grüppchen belegt, zwischen die kein Blatt Papier mehr gepaßt hätte, geschweige denn meine Wenigkeit. Und so ging ich, nachdem ich mein Glas und meine Teller lange genug im Stehen balanciert hatte, wieder auf die Straße Richtung Hotel. Es wurde Zeit, dort auf S. zu warten.
»Könnet Sie mir vielleicht sage, wo die Auguste-Schmidt-Straße ist?« wurde ich nach 200 Metern von der Seite angequatscht. Es war S.. Seit langem schon irrte er umher, der Dienstwagen seiner Redaktion hatte kein Navi, und den neuen Namen der alten Roßstraße (nämlich Auguste-Schmidt-Straße) kannte offenbar keiner der Passanten.
Gemeinsam gingen wir durch dieselbe zum Bayerischen Bahnhof; ich beließ es bei zwei Gosen, S. verdrückte einen Sauerbraten. Gemeinsam gingen wir die Nürnberger Straße nordwärts, »heimwärts«, S. zu seinem Auto und ich die Auguste-Schmidt-Straße, aber noch nicht ins Hotel, sondern erst mal noch ein paar Schritte weiter ins »Dark Horse«.
Um 0.25 Uhr knipste ich das Licht aus.

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Donald und Kamala, die Lovestory :-)

Sind sie nicht süß? Und Klein-Donald erst, der aus dem Bauch herauskommt! So, jetzt muß ich mal gucken, wie ich das aus FB 'runterkrieg...