Tag I: Dienstag, 13.3.2012
Um 10 Uhr wollte ich weg sein, 11.40 Uhr wurde es schließlich. Kurzer Zwischenstop in Bernhausen auf den Fildern: bei einem Motorradhändler Fahrzeugbrief und Zweitschlüssel meiner verkauften Harley abgeben. Eine dreieinhalbjährige Episode war zu Ende. Kleines Bierchen in der Cafeteria des großen Motorradhändlers. Jetzt konnte die Messereise richtig beginnen.
Autobahn A 81: Heilbronn, Würzburg. A 71 nordwärts. Schweinfurt, Nordbayern, Thüringer Wald. Ein gewaltig langer Tunnel nach dem anderen, der längste über 7 km lang. Im Wintersportzentrum Oberhof lagen hoch oben an den Hängen noch dürftige Schneereste, und die Berggipfel waren in Wolken verborgen.
Erfurt. Jena. Allmählich wurde es dunkel. Tanken. Irgendwann fuhr ich an diesen Schildern vorbei, die bislang noch jedem unsympathisch waren, den ich danach fragte: »Sachsen-Anhalt, das Land der Frühaufsteher«. Nach etlichen Stunden spritsparend gemächlicher Fahrt fuhr ich südlich an Leipzig vorbei, verließ das »Land der Frühaufsteher« und rollte in den Freistaat Sachsen.
Ausfahrt Leipzig Südost. Von Südosten her fuhr ich über die Prager Straße nach Leipzig hinein und lenkte meinen Kombi in die erstbeste Parkbucht. Rings um mich herum größtenteils unsanierte Exemplare jener prunkvollen Kaiserzeitbauten, an denen Leipzig so reich ist. Die Stadt sei damals regelrecht explodiert, sprunghaft gewachsen, erzählte man mir; sie platzte schier vor Stolz und Wohlstand. Heute wäre man froh, wenn man die sanierungsbedürftigen riesigen Häuser an den Mann bekäme … Die FAZ berichtete vor Jahren schon darüber, daß Studenten im Gegenzug für kleine Sanierungsarbeiten in solchen Häusern oft gratis oder fast gratis wohnen könnten …
Rein in die Straßenbahn mit meiner Reisetasche und mit meiner Aktentasche, darin alle Wertsachen. 2,10 Euro kostet der Fahrschein. Der Ausstellerausweis der Messe war wohl nur während der Messetage gültig, und einen speziellen Auf- und Abbauausweis (wie in Frankfurt) kannte man hier nicht (und auch bei dem war es zweifelhaft, ob er als Fahrausweis gültig war). Ich hatte gut daran getan, so weit außen zu parken, das sah ich während der Fahrt, denn weiter drinnen gab's entweder keine Parkplätze mehr, zumindest nicht entlang der Hauptstraße – oder nur gebührenpflichtige.
Rund zehn Haltestellen weiter hatte ich den Augustusplatz am Ostrand der Altstadt erreicht, einen weiten Platz, der im abendlichen Lampenschein eindrucksvoller aussieht als bei Tageslicht: An seinem Nordrand die Oper, im Süden das Gewandhaus und im Westen das Hauptgebäude der Universität, für das die Kommunisten 1968 die Paulinerkirche sprengten. Seit seiner Neugestaltung 1998 wird die alte Silhouette der Paulinerkirche in der Fassade des neugestalteten Uni-Gebäudes wenigstens angedeutet.
Das Opernhaus am Nordende des Augustusplatzes
Im Wendeherbst 1989 fanden hier auf dem Augustusplatz die Abschlußkundgebungen der Montagsdemonstration statt, nachdem diese zuvor auf der Ringstraße rund um die nur etwa einen Quadratkilometer große Altstadt marschiert waren.
Ich faßte meine Reisetasche und meine Aktentasche und den ausgedruckten Google-Stadtplan der Straßen, die ich jetzt brauchte, und ging südostwärts, vorbei an prächtigen Gebäuden (»Wer hat denn die gestaltet? Albert Speer?« fragte mich anderntags der Journalist S.), durch einen Durchgang – und fand mich in der Auguste-Schmidt-Straße (vormals Roßstraße) wieder: Unebene DDR-Gehwegplatten, teilweise abbruchreife, leerstehende Gebäude links und rechts – gleich hinter der glänzenden Fassade Leipzigs.
Kurz nach acht stand ich im Lokal und Hotel »Zum weißen Roß« und wurde vom Wirt begrüßt: »Haben Sie also doch noch hergefunden!« Momentan – und auch beim Frühstück am nächsten Morgen – schien ich der einzige Gast zu sein. Der Wirt am Mittwochmorgen: »Die kommen alle erst heut abend, dann wird's voll.«
Zu den Hotelzimmern ging es über eine Seitentreppe durch das Haus gleich nebenan, in dem auch etliche Privatleute wohnten. Eine Etage war für die Hotelgäste reserviert. Knarrende Stiegen und Dielen, dreieinhalb Meter hohe Räume, Etagendusche und Etagenklo. Einen Fernseher gab es in meinem Zimmer nicht – wozu auch? Ich verreise ja nicht zum Fernsehen.
Die Speisekarte im »Weißen Roß« war überschaubar: rund ein halbes Dutzend Gerichte. Ich ließ mir ein Schnitzel mit Kartoffelsalat schmecken. Es war ein Genuß, statt des »schwäbischen Kartoffelsalats« (mit Essig und Öl) mal wieder den anderswo üblichen (mit Mayonnaise) zu essen. Dazu tschechisches Břežnak-Pils vom Faß. (In unseren Nehrener Dorfladen schaffte es vor Jahren einmal ein Kasten Břežnak-Doppelbock – rund 10 % Alkohol –, und während die Dorfkundschaft nur sehr zögernd Fläschchen um Fläschchen kaufte, kaufte ich gleich einen ganzen Kasten.)
»Dark Horse« heißt ein »Irish Pub« ein paar Häuser weiter, der gottlob außer Guinness auch noch das heimische Krostitzer Pils führte - und »davon haben wir mehr als nur ein Glas«, bemerkte der Wirt, als ich nach einem Bier schon wieder aufbrach. »Leipzig hat auch mehr als nur eine Kneipe«, entgegnete ich ihm und zog weiter. 500 m weiter südlich stand ich vor dem »Bayerischen Bahnhof«, bis vor wenigen Jahren mit Baujahr 1844 der dienstälteste Bahnhof Deutschlands, jetzt ein Restaurant, in dem man »Gose« bekam, eine obergärige Bierspezialität, die laut einer im Lokal ausliegenden Broschüre bereits Kaiser Otto III vor tausend Jahren geschätzt haben soll. Das könnte stimmen – schließlich waren die damaligen Kaiser oft in Goslar zugange, und nach dem durch Goslar fließenden Flüßchen Gose soll die Biersorte benannt worden sein.
Nach Leipzig kam sie erst 1738. Heute wird sie mit Sondergenehmigung gebraut, denn Milchsäure, Koriander und weitere Gewürze stehen nicht auf der Zutatenliste des deutschen Reinheitsgebots.
Ich kostete die Gose mit Begeisterung – ein säuerliches, aber erfrischendes Bier.
Auf dem Weg zum Hotel machte ich noch in einer »Szenekneipe« halt, aber da war's mir zu laut und voll.
Um Mitternacht legte ich mich ins Bett, hörte durchs spaltbreit geöffnete Fenster das Zwitschern von Vögeln, als wären diese in puncto Tageszeit etwas verwirrt. Und dabei haben sie doch gar nichts getrunken! dachte ich verwundert und fiel in Schlaf.
Neuerscheinungen aus dem Marterpfahl Verlag, Aktuelles, Politik - die Chronik des laufenden Wahnsinns ... - Der Marterpfahl Verlag ist seit der Jahresmitte 2024 Geschichte, den »aktuellen Wahnsinn« gibt es noch (leider), und es wird auch in Zukunft als freiberufliche Tätigkeit gelegentlich Neuerscheinungen geben, unter was für einem Label auch immer :-)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Donald und Kamala, die Lovestory :-)
Sind sie nicht süß? Und Klein-Donald erst, der aus dem Bauch herauskommt! So, jetzt muß ich mal gucken, wie ich das aus FB 'runterkrieg...
-
Sie haben es schon einmal geschafft. Als US-Präsident Clinton eine Krankenversicherung für alle US-Amerikaner einführen wollte, brachte ihn ...
-
Bewaffneter Überfall Plötzlich standen sie mitten im Fernsehstudio: Maskierte, bewaffnete Männer, die die Angestellten auf den Boden zwang...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen