29.9.14

Amerikanische Tratschbuden, schwindsüchtige SM-Szene(n), flüchtige Rezensenten und der ganze Rest

Irgendwie scheint die SM-Szene von Schwindsucht befallen zu sein: Konnte ich noch 2004 Rezensionsexemplare an ein Dutzend Adressen schicken, so schrumpfte deren Zahl mit den Jahren immer mehr zusammen. Wo seid ihr geblieben, ihr Leute von  Domantik und Lustschmerz, von Twilight und  SM-Depesche? Ach ja - die letztere ging ja schon 2000 dahin, aber die anderen blieben - bis sie der Reihe nach verschwanden, geschlossen wurden, eingingen ... Dafür entstand 2004 im Internet die riesige, vielbesuchte Sklavenzentrale, stimmt - aber seit meine dortige Stamm-Rezensentin auf dem sanften veganen Trip ist und mehr Interesse am Rezensieren von vegetarischen Pizzen und Zucchini-Röllchen hat als am Rezensieren knallharter SM-Thriller, bin ich auch da irgendwie »heimatlos« geworden ...

Mindestens ein halbes Dutzend schwule Buchhandlungen gab's noch in den 90er Jahren in großen Städten, und die waren oft die einzigen, die SM-Literatur auch für Heteros ans Lager nahmen und nicht nur auf Wunsch eines Kunden bestellten. Männerschwarm in Hamburg gab sogar eine Infobroschüre über neue SM-Titel heraus. Einige dieser schwulen Buchläden gibt's nimmer oder nur noch stark reduziert. Überhaupt habe sich die schwule Szene, auch die schwule SM-Szene, stark ins Internet verlagert, las ich einmal; »reale« Treffpunkte trockneten aus ...

Vertreter, die den normalen Buchhandel beackern, habe ich mehrere Male gesucht, bin aber jedesmal früher oder später gescheitert. »Ein interessantes Sortiment haben Sie«, erzählte mir einer, »aber können Sie sich vorstellen, was der durchschnittliche Tiroler Buchhändler dazu sagt?« Ja, kann ich ...

Neulich hätte ich mit einer Anzeige in einer »Brigitte«-Sonderbeilage »Erotik« Präsenz zeigen können - eine Viertelseite für rund 500 Euro, und zusätzliche Verkäufe gibt's dann vielleicht für 300 Euro ...

Dafür gibt's ja neuerdings das »virale Marketing«. Es besteht in etwa darin, daß man in den diversen Klüngelbuden und Tratschbuden à la Facebook möglichst viel Betrieb macht, gegenseitige Hochlob- und Rezensier-Seilschaften bildet (»Wenn du mich laikst, dann laik ich dich auch«, so in etwa) und dadurch vielleicht nach viel Arbeit ein Dutzend zusätzliche Bücher verkauft - denn mehr ist in den meisten Fällen nicht drin. Denn wenn ein Facebook-Eintrag von 100 Leuten gelesen wird, von denen 10 das Buch kaufen, dann ist der Effekt also fast gleich null. Ein Verlag wie meiner braucht nicht 10 zusätzlich verkaufte Bücher mit viel Arbeit, sondern 1000 zusätzlich verkaufte Bücher mit wenig Arbeit :-) ... 

Außerdem bedeutet das Ganze gewissermaßen eine Kommerzialisierung des Freundeskreises. »Jede Tuppertante, jeder Feierabend-Versicherungsvertreter im Bekanntenkreis löst bei mir den Fluchtreflex aus«, schrieb mir ein Bekannter vor einiger Zeit. 

Bleibt im wesentlichen der Online-Buchhandel, allen voran das ungeliebte Amazon.de. Die planen zum Beginn der Frankfurter Buchmesse am 8. Oktober den Start einer »Ebook-Flatrate«, so ähnlich wie die unlängst verbotenen Flatrates in Puffs: Jeder darf, so oft er kann und mag :-) - und muß nur einmal zahlen. Mein Ebook-Produzent ist in heller Aufregung wegen der Hektik, und auch die aktuelle Sonntags-FAZ berichtete u. a. darüber, aber auch über die sonstigen Entwicklungen im Hause Amazon. Bei Ebooks versucht Amazon seine Stellung auszubauen, und gerade im Bereich Erotik sind Ebooks offenbar sehr wichtig, weil da offenbar weniger Leute auf Papier wert legen als in anderen Bereichen. Das wiederum ist betrüblich, weil der Erotik-Ebook-Markt auf Amazon.de von Billigstbüchern verstopft ist, die für einen Euro oder so angeboten werden. Setzt ein Autor ganz auf Amazon.de und den »Kindle«, vernachlässigt alle anderen Ebook-Datenformate, begibt sich also in Abhängigkeit von Amazon als seinem Verleger und einzigen Einzelhandelsverkäufer, dann kann der Autor auch bei einem Billigpreis noch etwas verdienen. Zumindest kann »Poppy J. Anderson« das, wie die FAS berichtet. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich eine 31jährige Historikerin, die seit 2012 statt ihrer Doktorarbeit lieber eine Schmonzette nach der anderen verfaßt und mitsamt vielen älteren, aus der Schublade gezogenen als Ebooks via Amazon vertickt, die schmalen für 0,89 Euro o. ä., die dickeren für 2,99 Euro. Ein Euro Gewinn pro Stück blieben ihr, heißt es - wahrscheinlich pro Stück der 3-Euro-Exemplare, also ein Drittel etwa, und damit habe sie schon rund eine halbe Million Euro verdient. Ja, solche Stars werden auch von Firmen, die Print-on-Demand-Dienstleistungen für veröffentlichungssüchtige Autoren anbieten, als Stars herumgezeigt - die tausend anderen, die wenig oder nichts verdienen, die sieht man nicht, die bleiben im Dunkeln, ähnlich wie bei Schauspielern, wo es ein paar Stars und Großverdiener gibt und ein riesiges darbendes Fußvolk. - Für Verlage ist so ein »Geschäftsmodell« eh katastrophal - nur Amazon wird damit dick und rund und feist. Und wer soll dann noch die papierene Ausgabe desselben Titels für vielleicht 15 Euro kaufen?

Aber das paßt zur Mentalität des durchschnittlichen heutigen Internet-Nutzers, der eine geistige (Schreiben) und handwerkliche (Drucken, Binden) und logistische (Verschicken, Verteilen) Leistung für lau haben will oder allenfalls wenige Groschen dafür zu berappen bereit ist, eine Gratis-Mentalität, wie sie hier von Sibylle Berg  im SPIEGEL gut beschrieben wurde.

Immerhin sind nicht alle Autoren der Meinung, ich betriebe eine »Hochpreispolitik«. In den Worten eines Autors:  »Eine ›Hochpreispolitik‹ ist das im Übrigen keinesfalls. Ich kenne ein paar Kleinverlage (anderer Genres), ich weiß, was da an Kosten drinhängt, von der ARBEIT ganz zu schweigen. Fast alle betreiben das
nur als Hobby.« Eben! Zusätzlich zu den hier genannten Kosten kommt ja noch dazu: Das Lektorat und das Layout eines 200-Seiten-Romans verschlingen rund 30 bis 40 Arbeitsstunden. Und ein Profi-Verleger muß anders kalkulieren als ein Feierabend-Hobby-Verleger.

Und nun? Wie weiter? »Es bleibt schwierig« würde Walter Giller sagen, wie immer zu Recht.

Keine Kommentare:

"Sie kommen und holen dein Auto!"

  Die erste richtige Tankstelle in Deutschland (in Hannover), 1922. Wer weiß, wie lange es das noch geben wird. Denn es dräut Ungemach - ein...