7.12.11

BUCHMESSE: FR, 14.10. und SA, 15.10.

Freitag, 14.10.2011: Printing on Demand auf dem Vormarsch

In Maßschuhen hätte ich vielleicht in der Zukunft auf die Messe gehen können – nobel geht die Welt zugrunde –, hätte ich um 15 Uhr dem Vortrag eines Maßschuhmachers gelauscht, vielleicht desselben, dessen Schaufenster ich zwei Wochen später in der Dreieichstraße bewunderte. Aber ich verpaßte den Vortrag, und so bin ich immer noch normal beschuht.
Auch den Vortrag von Scandinavianbook um 14 Uhr verpaßte ich. Dieser neue Bremer Ableger einer dänischen Digitaldruckerei hatte vor der Messe mächtig Reklame gemacht: Trotz hoher deutscher Lohnkosten versprach er Druck-Stückkosten wie in Litauen oder Polen; durch Ausnutzung aller modernen Rationalisierungspotentiale wollte er das erreichen. Nun ja, einen Versuch wäre es wert ...
Während der Printmarkt generell zu schrumpfen scheint, arbeitet sich die Drucktechnik anscheinend einem letzten Höhepunkt entgegen. Aber das ist ja in anderen Technikbereichen genauso: Als die CD auf dem Markt erschien, also der erste digitale Tonträger, erreichten analoge Plattenspieler noch einmal wahre Wunder an Gleichlauf und Klangtreue, fürs menschliche Ohr kaum von einer CD zu unterscheiden, genausowenig wie von den besten Audiokassetten.
Die Messe-FAZ echauffierte sich in einer ihrer Ausgaben darüber, daß Digitaldruck und Printing-on-demand den Selbstverlag so sehr erleichtere und verbillige, daß heutzutage auch viele Bücher gedruckt würden, für die sich kein Verleger interessiere – mit anderen Worten: die Mist sind. In der Tat lehnte ich auch schon Manuskripte wegen mangelnder Qualität ab und mußte dann feststellen, daß sie später im Selbstverlag und im Printing-on-Demand-Verfahren erschienen ...
Ein Stand in unserer Halle 4.1. präsentierte neben Büchern einen blitzenden Jaguar, ganz so, als sei der ebenso von der Automobilausstellung IAA einige Wochen zuvor zurückgeblieben wie der Audi-Pavillon, der jetzt auf der Agora das Lesezelt ersetzte. »Ich hätte meine blankpolierte Harley hier präsentieren sollen«, sagte ich zu Grimme. »Aber dann hätten wir einen doppelt so großen und mehr als doppelt so teuren Stand benötigt, und der Bezug zu unseren Büchern wäre auch nicht so recht deutlich geworden.« Ich sprach dann noch davon, daß ich die Harley wegen der immensen Instandhaltungskosten wahrscheinlich wieder verkaufen würde. Grimme: »Tja, du bist halt kein Rechtsanwalt oder Zahnarzt, der sich so was auf Dauer leisten kann.« Und dabei hatte ich mich doch schon so gefreut, endlich zum Establishment zu gehören *schluchz* wie ... z. B. Oliver Maria Schmitt, über den es in der Messe-FAZ hieß, auf dem Titanic-Empfang sei er natürlich wieder dabeigewesen, wie üblich in einem roten Jackett, aber ohne seine Harley. Tja, Kleider machen Leute – und der fahrbare Untersatz auch.
Um 18.35 Uhr stand ich schon an der S-Bahn, die halbleer war. Nur die anschließende Straßenbahn war anfangs voll. Das übliche Dutzend Stationen, während es draußen gerade eindunkelte.
Von der Straßenbahn-Endstation in Höchst gleich weiter Richtung Kneipenmeile auf der Bolongarostraße. Ich trug meine Melone und darunter ein schwarzes T-Shirt mit aufgedrucktem Frackausschnitt. Ich passierte eine Gruppe multikultureller Jugendlicher, von denen mir einer hinterherrief: »Einen wunderschönen guten Abend, der Herr! Hätten Sie eventuell Interesse an einem Nebenjob?« – »Eher nicht!« erwiderte ich lachend. »So sehen Sie auch aus!« schallte es mir noch hinterher. (Also doch schon Establishment?)
Erst mal Steak mit Zwiebeln in einem italienischen Restaurant, dann Spaziergang entlang der Straßenbahn-Route nach Nied. Mehrere Kneipen, die von Ausländern geführt wurden und weder Faßbier hatten noch anständige Quittungen ausstellen konnten. Flaschenbier gab’s aber immerhin. Ich hatte ständig das Gefühl, als einziger fremder Gast in quasi geschlossenen Gesellschaften herumzusitzen.
Also »heimwärts« wieder und Matratzenhorchdienst ...

Samstag, 15.10.2011: In tausend Seile verstrickt

Morgens ging ich noch mal zu meinem Auto, holte ein paar der billigen Bücherpakete, stand dann um 8.20 Uhr an der Straßenbahnhaltestelle. Am Samstag geht die Tram aber seltener, und so stand ich erst gegen 8.55 Uhr vor den Kontrollen am Eingang Torhaus. Eine gewaltige Menschenmenge wartete dort schon auf die Schalteröffnung für »Otto Normalverbraucher«, und die (fast) verspäteten Aussteller (wie ich) mußten sich seitwärts durch die mehrfachen Warteschlangen zur Einlaßkontrolle durchdrängeln.
Rolltreppe runter, Messe-FAZ abgreifen, rein in die Halle 4.1., und schon ertönten der Gong und die Ansage, daß es gleich losgehe ...
Nicole erzählte mir von Charons Messe-Erfahrungen. Charon ist ja mittlerweile ein Gemischtwarenladen, in dem Printprodukte nur noch einen Teil des Angebots ausmachen. Wie ist es z. B. auf dem DWGT (Dark Wave-Gothic-Treffen) in Leipzig? Charon erscheint da mit einem Großstand und mit sieben Leuten. Riesenumsatz – aber auch Riesenkosten. Viel übrig bleibt da nicht, allenfalls wird man in Szenekreisen bekannter. In welcher Szene? Das kommt drauf an ...
Mittags kam mein Autor Gerwalt mit seiner Frau, einer meiner fleißigsten und talentiertesten Autoren. Ich kann die Bücher gar nicht so schnell erscheinen lassen, wie sie von ihm geschrieben werden – und das alles parallel zu einem anspruchsvollen Hauptjob! Ich darf gar nicht daran denken, wie lange das Abfassen dieses Messeberichts schon wieder gedauert hat ...
Nachmittags griff ich mir in Halle 5 wieder einen der Papp-Rollkoffer der Handelskammer Istanbul ab.
Dem Goliath-Mädel schenkte ich »Morgendunkel«, damit zog sie glücklich ab. Am Abend wollte sie bei Grimmes Bondage-Performance im Grande Opéra mit dabei sein.
Der Chef einer Firma, die »Freiheit für ebooks« forderte, hatte zwei kostümierte Mädels, darunter ein gefesseltes, im Schlepptau mit dabei. Als er mit mir gesprochen hatte, sagte er ihnen: »So, nun sagt schön danke, und weiter geht’s!«
Damit war er aber immer noch freundlicher als die hemdsärmeligen Russen, die Tage zuvor am liebsten gleich das »Dornröschen« von mir gekauft hätten – ich verwies sie zwecks Lizenz an den amerikanischen Originalverlag.
Weiter ging auch der Tag: Endlich halb sieben, endlich der erlösende Gong.
Ich packte ein paar von den Billig-Bücherpaketen in den wackligen Papp-Rollkoffer der Handelskammer Istanbul und rollte damit gaaanz langsam und vorsichtig zur S-Bahn und in diese hinein. Umsteigen am Bahnhof Ostendstraße. Weiter nach Offenbach. Dort aus der S-Bahn raus (Lift kaputt, also alles in die Hand nehmen und schleppen) und dann langsam südwärts, wie 2010. Wenigstens wußte ich jetzt, daß es auf diesem Weg nicht nur Schnellimbisse gab, sondern auch richtige Restaurants. In einem portugiesischen solchen füllte ich mir mit gebratenem Tintenfisch, Salzkartoffeln und portugiesischem Bier den knurrenden Magen und zog dann meinen »Rolli« langsam weiter, um endlich gegen 20.45 Uhr im Grande Opéra »aufzuschlagen«, wie man heute so sagt.
»Sie sehen ja gar nichts!« raunte mir das Barmädchen zu, als ich während Grimmes Fessel-Performance nach 22 Uhr anfangs bequem an der Bar sitzen blieb. So konnte ich auch nicht sehen, daß das Goliath-Messegirl vorne in der ersten Reihe saß und alles mit neugierigen Augen betrachtete. Später ließ sie sich durch die »Spielzimmer« führen, aber ohne ein »philosophisches« Gespräch wie 2010 mit den Soziologinnen, sondern einfach nur mit Erläuterung der Funktionsweise der Geräte, die stets mit einem »Kraß!« kommentiert wurde.
Es war Grimmes und Charons Abend, sie wurden an diesem Abend so viele Bücher los wie an den ganzen Messetagen zuvor, während ich absolut nichts verkaufen konnte. Also alle Buchpakete wieder in den Papp-Rollkoffer einpacken – ohnehin begann nach dem Ende der Bondage-Performance ab 23 Uhr die Musik discomäßig zu dröhnen und die Trockeneisnebel zu wabern – und allmählich »heimwärts« wandern.
Lange dauerte es in dem vom wackligen »Rolli« erzwungenen Kriechtempo bis zur S-Bahn, und dort war die Bahn nach Höchst/Wiesbaden gerade abgefahren. Bis zur nächsten dauerte es über 20 Minuten. In die S-Bahn stiegen giggelnde Mädchen, die offensichtlich so was ähnliches wie Cosplayer waren, sie hatten »Antennen« auf der Stirn, die an spiralförmigen Befestigungen pausenlos wackelten, und sie grölten Lieder mit Texten wie »tausend nackte Weiber am Strand ...«. Ein Teil der (multikulturellen) Zuhörer fand das belustigend, ein anderer reagierte mit Anraunzern wie »Maul halten!«. Noch vor Höchst stiegen die Mädels wieder aus.
In Höchst wiederum war der S-Bahnhof bedeutend weiter von meinem Hotelschiff entfernt als die Straßenbahnhaltestelle, nämlich rund 600 bis 800 Meter statt 200 – und ich hatte auch keinen Plan, sondern nur eine vage Idee, daß ich nach Süden laufen mußte, in Fahrtrichtung links also.
Nach leichter Fehlorientierung gen Westen hatte ich auch bald die Bolongarostraße gefunden. Zeit für ein paar Absacker vor dem letzten Messetag, am Samstag waren die Kneipen ja bis tief in die Nacht geöffnet: Zuerst in die spanische und dann ins Schwarzwaldstübchen.
Gegen 1.50 Uhr war ich schließlich im Bett.

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