23.6.10

Köhler und Waldheim - zwei fade Karrieristen im Vergleich


Soeben blättere ich noch mal im »Notizbuch des Johannes Gross« und stoße auf einen Eintrag von 1986. Damals begann man sich international, vor allem in den USA, über die Vergangenheit von Kurt Waldheim zu echauffieren. Jahrelang war er als UNO-Generalsekretär gut genug gewesen, sein Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg war bekannt gewesen - nun war er österreichischer Bundespräsident, und auf einmal wurde er zur geächteten Person, sogar mit Einreiseverbot in die USA, wenn ich mich recht erinnere. Johannes Gross dazu am 2.5.1986:

»Aus Anlaß des Falles Waldheim erinnert in England jemand an die Bemerkung, die Asquith 1914 machte - die Österreicher sind bei weitem das dümmste Volk in Europa. Die Erinnerung ist ganz unpassend. Die Österreicher haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg eher schlau verhalten, nur sind sie jetzt in der Person Waldheims erwischt worden, womit sie nicht mehr zu rechnen brauchten. Auch Waldheim selbst ist kein dummer Österreicher, allerdings, wie ich in einem langen Gespräch in Genf vor vielen Jahren erfahren durfte, ein sehr langweiliger Österreicher (...). Er weiß wohl, daß jede spontane Geistesregung, jede frische Formulierung, jedes Urteil, das nicht als abgegriffene Münze längst umläuft, dem Ruf, ein seriöser Mensch zu sein, irgendwann schaden könnte und damit einer Karriere. Ein überzeugter Nazi ist Dr. Waldheim keineswegs gewesen, er hätt' sich auch einer risikoarmen Form des Widerstands anschließen können, wäre bloß früher zu ahnen gewesen, daß dies der Laufbahn dienlicher gewesen wäre. Unbegreiflich wäre es, daß Waldheim, der schon so viel Schönes erreicht hat, unbedingt auch noch Präsident der Republik werden will, wenn man nicht von der Faszination wüßte, die gerade die machtlosen Würdeämter auf die Ehrsüchtigen ausüben - der Höchstgeachtete im Land, der selber keine Verantwortung trägt, aber alle anderen an die ihrige erinnert, der nicht selber denken muß, sondern Denkanstöße vermittelt und bei alledem außerhalb aller Kritik bleibt. - Es muß wahrhaftig jemand schon sehr blöd sein, in einem solchen Amt zu versagen, freilich auch sehr tüchtig, um darin zu exzellieren.«

So ist es. Ebenfalls derzeit auf meinem Nachttisch: J. K. Galbraiths »kleine Geschichte der Spekulation«. Unfaßbar, wie die Menschen gerade in diesem Bereich aus der Geschichte nie etwas lernen, immerfort dumm bleiben. Die Muster ähneln sich stets, von der Tulpen-Spekulation in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts über 1929 bis zur »Dot-com«-Blase 2001: Jedes Mal denken die Anleger, diesmal sei es etwas gaaanz anderes als jemals zuvor, diesmal werde der Boom ewig anhalten, und wenn es doch irgendwen treffe, dann immer die anderen, niemals einen selber ...

Profund auch Galbraiths Erkenntnis über die Besetzung hoher Stellen, diese würden statt mit dem Intelligentesten und Tatkräftigsten oft mit blassen Kompromißkandidaten besetzt, mit irgendeiner grauen Maus, einem Bürokraten, der keinem weh tut und auf den alle rivalisierenden Fraktionen sich einigen können. - Der bayrische Kultusminister Maier schrieb mal in den 80er Jahren, so sei es oft bei Berufungen auf einen Lehrstuhl: x und y und z stünden zur Wahl, und auf einmal erinnere man sich: »Mit dem x war mal was!« Leider weiß keiner mehr, was das war (Google gab es noch nicht), und wenn sich dann schließlich herausstellt, daß x durch etwas besonders Positives, durch Initiative und Leistung aufgefallen war, ist es meist schon zu spät - die graue, angepaßte Maus sitzt schon auf dem Lehrstuhl.

Selbst das Essen scheint in höheren Kreisen immer fader, gewissermaßen diplomatischer zu werden: »Der amerikanische Gastrosoph Calvin Trillian, der nicht wie die meisten seiner Zunft dazu neigt, über jedem Essen schwer zu werden, hat herausgefunden, warum die Mahlzeiten in den amerikanischen Clubs um so weniger schmecken, je exklusiver sie sind: ›Das Essen an diesen Orten ist so geschmacklos, weil die Mitglieder Knoblauch und Gewürz für für eben jene Leute kennzeichnend halten, die sie nicht reinlassen wollen.‹ Viele Exklusivitäten beruhen auf diesem Prinzip. Zu höchsten Zirkeln hat keinen Zutritt, wer unvorhersehbare Äußerungen tut, der Wort- und Ideenschatz wird umgewälzt und gering gehalten.« (Johannes Gross am 20.5.1983; inzwischen scheint es sich - in Deutschland zumindest - an diesem Punkt sogar ins Gegenteil verkehrt zu haben: Wer Knoblauch verabscheut, steht irgendwie in dem Geruch eines Spießers, der die feine mediterrane Lebensart nicht zu schätzen weiß; überall wird Knoblauch reingesemmelt, die Süßspeisen werden gerade noch verschont).

Köhler war so ein typischer blasser Karrierist, glaubte aber irrtümlich, ein origineller Kopf zu sein. Wenn er die Jugend dazu aufrief, auch mal was zu riskieren, die »Vollkasko-Mentalität« abzulegen, dann fiel ihm offenbar gar nicht auf, daß er das genaue Gegenteil davon war: Bedächtig einen Karriereschritt nach dem anderen machend und immer auf seine Absicherung bedachtet. Schon Präsident des IWF war er nur geworden, weil die Amis den ursprünglich vorgesehenen Caio Koch-Weser abgelehnt hatten, als Kompromißkandidat also. Als Bundespräsident war er das Geschöpf von Westerwelle und Merkel, wurde aber böse, wenn das jemand aussprach. Er wurde überhaupt häufig böse und raunzte Mitarbeiter an und vergraulte so viele. Da war Waldheim anders: Er tarnte offenbar seine Fadheit als feine Diplomatie und wahrte so den Schein, versuchte nicht, als origineller Kopf zu erscheinen, als den ihn eh keiner ernst genommen hätte.

Und was folgt nun? Entweder ein weiterer bläßlicher Apparatschik (Wulff) oder eine gehässige linke Matrone (Lukrezia Jochimsen) oder ein Präsident, der mal etwas mehr ein echter Charakter ist (Gauck) ...

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