29.10.12

Beim Berlin-Marathon 2012: Alles ausverkauft! (Teil I)

»So untrainiert wie diesmal war ich noch nie!« klagte mein Bekannter, der Journalist S., als ich zusammen mit ihm und seiner Freundin in meinem Auto saß und wir zusammen Richtung Berlin unterwegs waren. Na, was sollte ich da erst sagen? Reichlich Übergewicht, pro Tag allenfalls ein halbes Stündchen Training, kein einziger langer Vorbereitungslauf und so schlaffe Zeiten wie nur selten zuvor ... Aber macht nichts: Dann wird eben nur gewalkt; bis zu 7 Stunden Zeit hat man ja.

Es war Freitag, der 28. September. Der Verkehr war so, wie man es von einem Freitag erwarten konnte: Auf Abschnitte, in denen man 150 km/h fahren konnte, folgten immer wieder lästige Staus. Stuttgart, Heilbronn, Würzburg, Schweinfurt, dann die einsame A 71 nordwärts Richtung Erfurt. Zwischen zwei der längsten Thüringer-Wald-Tunnels wußte S. eine Tankstelle, wo die Bockwurst noch 1,50 € kostete - und den Kartoffelsalat gab's mit Mayonnaise; ein Labsal für jemanden wie mich, der zu Hause nur den mayonnaiselosen schwäbischen Kartoffelsalat bekommt.
Dann wieder die unsympathischen Schilder »Sachsen-Anhalt, das Land der Frühaufsteher« oder »Wir stehen früher auf«. Wir waren uns einig, daß Brandenburg gleich dahinter Schilder eines sich verschlafen rekelnden Menschen aufstellen sollte, der so etwas wie »wir sind so richtig ausgeschlafen« sagen müßte oder »Sie haben's überstanden!«

Während ich mich gerade noch rechtzeitig zum Marathon angemeldet hatte, war S. zu spät dran gewesen.
Üblicherweise beginnt die Anmeldefrist zum Berlin-Marathon »zwischen den Jahren«, und ausverkauft ist er irgendwann Ende April, Anfang Mai. Diesmal hatte die Anmeldefrist bereits im Herbst begonnen, und schon im Spätherbst war alles zu. Ich hatte mich gerade noch rechtzeitig angemeldet, S. kam ein, zwei Tage zu spät. Nur durch Kauf des Startplatzes eines anderen bei Ebay war er doch noch zum Zuge gekommen - auf dem Platz vor der Sportmesse den Platz eines Zurücktreters zu kaufen war ihm zu riskant
gewesen ...

Das billige Einzelzimmer auf einem Dörfchen östlich von Berlin hatte ich wieder abbestellt, es war einfach zu entlegen gewesen, drei Kilometer bis zum Regionalbahnhof an der Strecke nach Küstrin und fünf Kilometer bis zur S-Bahn - da war es besser gewesen, die Stornogebühr zu zahlen und sich wieder in der Jugendherberge am Wannsee einzumieten, Mehrbettzimmer natürlich, aber noch etwas billiger (108 Euro für 4 Nächte) und natürlich ideal gelegen für den von Südwesten her Anreisenden.
Berlin empfing uns mit einem Stau, im Schneckentempo krochen wir am ehemaligen Grenzkontrollpunkt Dreilinden/Drewitz und am Ortsschild BERLIN vorbei. Na, egal, es sind ja nur noch wenige hundert Meter bis zu unserer Ausfahrt, der Ausfahrt »Spanische Allee« ... Doch nun ging gar nichts mehr - außer noch schnell in die Abfahrt vor der »Spanischen Allee« einzuschwenken. Sie führte uns auf die B 1, jene ganz Deutschland in Ost-West-Richtung durchquerende Fernstraße, die wir nun westwärts Richtung Potsdam befuhren. Und nun irgendwo nach rechts ... am besten da vorne die breite Straße [die hätte uns auch direktemang, wie der Berliner sagt, zur Juhe geführt] ... aber die kleine Nebenstraße hier ist auch nicht schlecht ...
In der Tat: Wir gerieten in ein Geflecht grobgepflasterter Nebenstraßen mit herrlichen alten Villen zwischen noch herrlicheren alten Bäumen. Ohne den Stau hätte ich die nie gesehen, denn nahe der Juhe, wohin wir mit Hilfe eines freundlichen Berliners rasch den etwas verschlungenen Weg unter der S-Bahn hindurch fanden, gab es nur etwas öde Zweckbauten, die hatte ich schon früher zu Fuß erkundet und nicht geahnt, welche Schönheit sich jenseits der Bahnlinie verbarg ...
Parken in der Nähe der »Spinnerbrücke«, jenes Lokals mit Motorradtreff, dort, wo die Spanische Allee die Autobahn überquert. Ich checkte in der nahegelegenen Jugendherberge ein. Es war etwa 18 Uhr, die Abenddämmerung nahte, die Fahrt hatte etwa 8 Stunden gedauert.
Zu dritt fuhren wir dann mit der S-Bahn in die Innenstadt, wollten uns mit S.' Bruder, der mit dem Zug angereist war, im »Marjellchen«, dem ostpreußischen Lokal in der Mommsenstraße 9, einer gasbeleuchteten Parallelstraße zum Kudamm, treffen - aber das Marjellchen war wie meistens überfüllt.
Im »Mommseneck« am Westende der Straße, dem »Haus der 100 Biere« aus aller Welt, war's genauso gemütlich, ganz ähnliche Traditionsgerichte standen auf der Karte, Königsberger Klopse haben in Berlin sowieso viele Lokale, und eine kiloschwere Kohlroulade, angeblich die schwerste Berlins, war ja auch nicht zu verachten, dazu ein »Duckstein« aus Flensburg; das belgische »Krieck«-Kirschbier war allerdings mit 4,95 € pro Fläschchen unverschämt teuer.
S.' Bruder war inzwischen mit dem Handy herangelotst worden; überhaupt mußte der drahtlose Fernsprecher noch öfter in Aktion treten, denn S. hatte für sich und seine Freundin ein Privatquartier bei einem alten Berliner Bekannten, der ausgerechnet um die Monatswende September/Oktober umzog und schwer erreichbar war, was die Dinge nicht gerade vereinfachte ...
In mein Zimmer in der Juhe hatten inzwischen auch Kevin, ein schottischer Tourist mittleren Alters, sowie ein Dolmetscher auf Berufsreise zu einer Berliner Konferenz eingecheckt. Unauffällig zischte ich, im Dunklen im Bett liegend, noch ein Dosenbier, das ich an der Tankstelle nahe der »Spinnerbrücke« gekauft hatte - in Berlin ist ja nicht, wie in Baden-Württemberg, der Alkoholverkauf nach 22 Uhr verboten - und dämmerte langsam ins Reich der Träume hinüber ...

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