21.11.11

Aller guten Dinge sind drei - Frankfurter Buchmesse 2011 - zum 3. und letzten Mal (Teil I)

Sonntag, 9.10.2011: Frisch aus der Druckerei

Um 15 Uhr wollte ich weg sein; tatsächlich wurde es dann 16.20 Uhr. Kurzer Stop in Leonberg bei einer Bekannten, anschließend vor der Autobahn noch einmal auftanken. Die Tankstelle war überfüllt, ich mußte warten, es herrschte drangvolle Enge.
Schließlich war ich nordwärts Richtung Heilbronn unterwegs auf der A 81, dann ostwärts auf der A 6 Richtung Nürnberg, die sinkende Sonne im Rücken. Morgen würde ich noch fünf Neuerscheinungen aus der Druckerei holen müssen, die ich in Frankfurt präsentieren wollte. Außerdem war ich am Dienstagnachmittag zur feierlichen Eröffnungsveranstaltung der Buchmesse eingeladen. Jawohl – ich darf Herrn Westerwelle leibhaftig sehen! Wer weiß, wie lang es noch Gelegenheit dazu gibt ... »Herzlichen Glückwunsch!« hatten mir dann immer alle, mit denen ich darüber redete, ironisch gewünscht. Aber warum soll man sich solchen einen Festakt nicht mal ansehen? Die beiden ersten Male war ich nicht eingeladen gewesen – offenbar zählte ich beim dritten Mal schon zum Establishment ... (Wochen zuvor hatte ich eine Anfrage bekommen, ob ich dort hinwollte, und als ich mit Ja antwortete, kam eine Einladung – offenbar hatten sonst nicht allzuviel Leute Interesse, Herrn Westerwelle zu sehen, sonst hätte ich in die Röhre geguckt.)
Der Tag geht, Bayern kommt. Nordwärts vorbei an Nürnberg und auch ein Stück weit auf normalen Straßen durch die Stadt. Am Autobahnkreuz Fürth/Erlangen ostwärts. Nach wenigen Kilometern links, nordwärts, zwei Hotels, darunter ein Etap-Hotel. Gleich darauf verließ ich die Autobahn, rollte an dem riesigen »Autohof« (einer Raststätte für Lkw-Fahrer) vorbei in das Gewerbegebiet Erlangen-Tennenlohe, vorbei an der Adresse der Druckerei (2002 war ich schon einmal hier, als »Scipia, Sklavin der Römer« erschien) und zum billigen Etap-Hotel (47 Euro mit Frühstück), in dem ich um halb neun eincheckte. Viele Polen und Rumänen übernachteten hier, der Parkplatz war voller Kleintransporter und Kleinbusse, junge Osteuropäer auf der Durchreise – logisch, die A 3 von Frankfurt her ist ja eine Hauptdurchgangsroute Richtung Balkan.
Ein Restaurant in zehn Minuten Entfernung zu Fuß hatte ebenso zu wie der »Saunaclub Afrodit«. Typisch Sonntagabend. Was nun? Westwärts unter der Autobahn durch und zwei Kilometer weit im Dunklen ins nächste Dorf, wo laut Google-Maps ein Lokal sein soll? Und was, wenn das ebenfalls schon zu war?
Ich wanderte ostwärts, vorbei an den riesigen Lkw-Parkplätzen des Autohofs, auf denen osteuropäische Fahrer neben ihren Lastern standen und schwatzten, vorbei an einer dazugehörigen Tankstelle mit Restaurant, und kurz danach war ich in den dörflichen Straßen von Tennenlohe mit z. T. alten Fachwerkhäusern. Wenn nur dieses laute Verkehrsrauschen nicht wäre! Das stört die Idylle. Auf drei Seiten ist Tennenlohe von Autobahnen bzw. der vierspurigen B 4 umgeben, und das große Gewerbegebiet soll offenbar noch erweitert werden – sofern das Volk am 23.10. zustimmt, so informierten mich Plakate am Wegesrand. »Um Gottes Willen – noch mehr Krach und Dreck!« entsetzten sich die Gegner, und »Ja! Noch mehr zukunftssichere Arbeitsplätze!« jubilierten die Befürworter.
Der »goldene Schwan« in Tennenlohes Ortsmitte hatte offenbar auch zu, alles war dunkel und still – bis auf das Hintergrundrauschen. So kehrte ich um und wenig später ein in die Autohof-Gaststätte, die gemütlicher war als gedacht, mit viel Biergarten-Charakter, auch wenn man zu dieser Jahreszeit natürlich nicht mehr draußen sitzen konnte. Es standen viele Wildgerichte auf der Karte, ich entschied mich für ein Wildmufflonsteak mit Reis und gedachte jenes Tages im Herbst 2000, als ich mit einer Autorin in einem Dorflokal bei Würzburg zusammensaß, das sogar Straußeneier und Krokodilsteaks auf der Karte hatte. Aber die seien zäh wie Leder, hatte mich meine Autorin gewarnt. So war ich auch damals beim Mufflon, einer Art Wildschaf, geblieben, zumal die Bedienung treuherzig meinte: »Klapperschlange kann ich Ihnen leider noch nicht bieten!«
Spaziergang zurück zum Hotel. Die Lärmschutzfenster dämpften das Rauschen der nahen A 3; öffnete man sie auch nur einen Spalt breit, wurde es unerträglich ...

Montag, 10.10.2011: Ich schiffe mich ein

Um zehn nach sechs war ich wach und schmökerte in Arne Hoffmanns Buch »Kamasutra am Arbeitsplatz«, schrieb endlich die Rezension, die ich ihm schon lange versprochen hatte. Noch vor sieben Uhr war ich unten in der Lobby und setzte mich an das Internetterminal, um die Rezension auf Amazon.de zu posten. Etwas mehr Reklame für meine Lesung am Donnerstag könnte auch nicht schaden, dachte ich mir und postete eine Meldung auf der Mailingliste SWL, der Mailingliste für die SM-Szene – die aber nicht weitergereicht wurde, weil sie nicht von meinem heimischen Rechner und nicht von dem üblichen Email-Konto aus kam.
Weg vom Rechner und drei Meter weiter zum Frühstück. Dabei ein wenig in der ausliegenden Zeitung schmökern: Für viele gebildete Russen der Mittelschicht, etwa 20 Prozent der Bevölkerung, sei die Aussicht auf Putins Wiederkehr das Signal, ihrem Heimatland endgültig den Rücken zu kehren, las ich.
Nach so viel frühmorgendlicher Dynamik auf dem Zimmer erst mal noch ’ne Runde weiterdösen. Ohnehin herrschte draußen mittlerweile ein so grau-verregnet-trübes Wetter, daß man am liebsten den ganzen Tag im Bett geblieben wäre.
Aber geht ja nicht … Also raffte ich mich wieder auf, lud die Koffer ins Auto und rollte wenige hundert Meter weit bis auf den Hof der Druckerei Print Com. Bald darauf saß ich dem Chef, Herrn Grund, beim Kaffee gegenüber, und nach einigem Fachsimpeln lud ich schließlich von jeder der fünf Neuerscheinungen rund 15 Stück in meinen Wagen, den Rest ließ ich mir nach Hause schicken. Zwar hatte ich von jeder Neuerscheinung diesmal nur 100 Stück drucken lassen, aber es war trotzdem zu viel für meinen bereits arg vollgeladenen Kombi.
Auf die A 3 gen Nordwesten. Träge rollte ich in Richtung Frankfurt dahin, hörte Deutschlandfunk auf Langwelle. Würzburg. Das Wetter kann sich nicht entscheiden, ob es regnen soll oder nicht. Nervig – Scheibenwischer an, Scheibenwischer aus. Die Hügel Frankens und des Spessarts ziehen vorbei. Die heutige Autobahnraststätte Spessart liegt etwa da, wo früher das berühmte »Wirtshaus im Spessart« an einer Straßenkreuzung lag. Es wurde 1958 wegen des Autobahnbaus abgerissen, gerade als der gleichnamige Film in die Kinos kam.
Ganz allmählich hellt es sich auf. Ich fuhr an Aschaffenburg vorbei, Bayerns nordwestlichster Stadt, weniger als eine Stunde von Frankfurt entfernt. Der Regen geht, Hessen kommt!
… aber windig war’s, sehr windig, stellte ich fest, als ich auf dem obersten, offenen Parkdeck des Parkhauses neben Halle 4 aus meinem Wagen stieg. An der Ecke des Parkdecks war der Aufzug, mit dem mußte ich eine Etage tiefer fahren, dann ein paar Korridore entlanglaufen und dann mit einem anderen Aufzug noch einmal tiefer fahren – genau wie 2010 eben.
Doch die Lichtschrankentür zum Vorraum des Aufzugs auf dem Parkdeck war defekt. Neben mir wartete schon bald ein halbes Dutzend Aufbauwillige, manche mit hohen Stapeln von Bücher- und Weinflaschenkartons auf Sackkarren. Einer versuchte, mit dem Handy irgendwen Zuständigen von dem Defekt zu unterrichten. Letzten Endes half alles nichts – ich mußte (wie die anderen) meinen Kram mit dem Rollwägelchen die Autorampe einen Stock weit runterfahren, dann dort durch das ganze Parkdeck schieben, dann noch mal mit dem Aufzug – bedient von einer penibel-korrekten Fachkraft, schööön langsam und nach Vorschrift – einen Stock runterfahren, bevor ich in die Halle 4.1. kam. Und das alles dreimal nacheinander.
Diesmal war wenigstens die Blende über dem Stand mit dem Namen »Charon Verlag / Marterpfahl Verlag« da, die ich bestellt hatte. 2010 hatte ich auch eine solche Blende bestellt und eine schmale Glasvitrine, und beides war nicht geliefert, aber berechnet worden – und ich Depp hatte es auch noch bezahlt, weil ich in der Vorweihnachtshektik nicht so genau auf die Rechnung geschaut hatte. Aber das Geld hol ich mir jetzt zurück – auf die Bezahlung der diesjährigen Leistung werden die lange warten können, das will ich verrechnet haben …
Ich popelte mit dem Taschenmesser Löcher in die Wandbespannung, hängte die Wandschienen ein, auf denen die Bücher stehen sollten, befestigte Buchcover an der leeren Wand rechts neben unserem Stand, dekorierte Pakete mit billigen Auslauftiteln in hübsche Geschenkkörbe und plazierte die beiden innen hohlen, also als Stauraum geeigneten Hocker, einen roten und einen weißen. Oder tat ich das alles erst am Dienstag? Vielleicht – denn am Montag reichte die Zeit nur, um möglichst viel von dem Messegut auf den Stand zu tragen und erste Arbeiten zu verrichten. Als nach ein, zwei Stunden alles schon halbwegs manierlich aussah, setzte ich mich wieder in meinen Wagen, hatte ich doch versprochen, mein Hotelzimmer bis gegen 18 Uhr zu beziehen.
Runter die vielfach gewundene Rampe, raus aus dem Gelände durch Tor Süd, nach links abbiegen, in der Haltebucht einer Bushaltestelle Blick auf den ausgedruckten Stadtplan, weiter geradeaus – und jetzt nach rechts in die kilometerlange Mainzer Landstraße. Ja, da vorne war ja schon eine Straßenbahn der Linie 11, die fuhr ja genau nach Höchst – wo ich hinwollte. Die Mainzer Landstraße müßte ich nun bis zu ihrem Ende durchfahren, dann weiter geradeaus, und schon wäre ich (fast) da. Diesmal hatte ich in Höchst Quartier genommen, ganz an der entgegengesetzten Ecke von Sachsenhausen. Schon um etwas Zeit zu haben, mich einzugewöhnen, war ich froh, diesmal schon am Montag angereist zu sein.
Ich rollte westwärts wie die Straßenbahn, einige Kilometer weit. Aber ach – wenn man weiter den Wegweisern nach Höchst folgte, wurde man dann im Bogen auf eine vierspurige Straße nach Süden geleitet, über den Main hinüber, obwohl doch Höchst auf dem Nordufer des Mains liegt. Um der Mainzer Landstraße weiter zu folgen, hätte ich wohl den Wegweisern nach Nied folgen müssen …
War ich hier falsch, auf der Südseite des Mains? Nein. Schon wurde die breite Straße im Bogen wieder an den Main zurückgeführt, auf dessen Nordufer die Silhouette von Höchst mit seiner Altstadt und dem Schloßturm erkennbar wurde.
Die meisten werden bei »Höchst« nur an Industrie denken, aber das ist nicht alles. Höchst hat eine hübsche Altstadt mit Fachwerkhäusern, Schlössern und Palästen, die im Zweiten Weltkrieg trotz der Industrienähe seltsamerweise völlig verschont blieb und nicht wenige Kneipen beherbergt …
Schon hatte ich wieder den Main überquert, war rechts abgebogen und rollte durch die Bolongarostraße mit ihren Fachwerkhäusern. Noch einmal nach rechts, und schon war ich beim »Hotelschiff Schlott«, das diesmal mein Quartier sein sollte. Neben zwei oder drei Hausbooten war es an der Mündung des Flüßchens Nidda in den Main vertäut, begab sich in den Sommermonaten aber auch schon mal auf Reisen, auf kürzere Ausflüge zumeist, war für solche Zwecke buchbar – und als Hotel eben. Die Einzelzimmer waren alle schon vergeben, als ich im Mai anfragte – aber die teureren Doppelzimmer boten auch mehr Platz als die schiffskabinentypisch engen Einzelzimmer.
Montag war Ruhetag des Schiffs-Restaurants, aber ein Bier bekam ich nach dem Einchecken trotzdem. Der gemütliche Abend konnte beginnen.
Echt gemütlich: Hotelschiff Schlott
Der Main macht bei Höchst eine Kurve, und Höchst – am Nordufer dieser Biegung – hat ein richtiges kleines Steilufer, es geht bis zur Altstadt locker zehn Höhenmeter bergauf. Zwischen Nidda und Main gab es einen grünen, an der Mündung der Nidda spitz zulaufenden Park – nachts ein beliebter Ort für Jugendliche, die nicht ins Bett finden können. Wenige Dutzend Meter vom Hotelschiff entfernt setzte eine kleine Personenfähre nach Bedarf ans Mainsüdufer über, von wo aus man nach anderthalb Kilometern Alt-Schwanheim erreicht hätte – aber den Fährbetrieb gab’s nur von 9 bis 18 Uhr – also nix für die Kneipentour dort drüben ...
Abendspaziergang durch die Höchster Altstadt. Hinter den »altdeutschen« Fassaden steckt viel Multikulti, das merkt man an den Gesprächen der Straßenkids ebenso wie an den Speisekarten (spanisch, griechisch, türkisch) wie anderntags am Personal in der Straßenbahn. Da ist das Ausländische nicht mehr Beiwerk, sondern das Deutsche droht zum Beiwerk zu werden. So deutlich wie dieses Mal war mir das noch nie aufgefallen.
So auffällige Geschäftsstellen von Parteien hatte ich bislang auch noch nirgends gesehen. Vor der Geschäftsstelle der Linkspartei hing eine rote Socke, geschnitzt aus Holz ...
Ich landete schließlich nahe dem Höchster Schloß im gemütlichen und stark besuchten Restaurant »Zum Bären«. Auch hier stand wieder viel Wild auf der Karte: Wildschweinkeule, Elchsteak – aber als ich das las, hatte ich schon, der Anpreisung vor der Tür folgend, die »Bärenpfanne« bestellt – auch nicht schlecht, auch wenn sie nicht aus Bärenfleisch bestand, sondern aus verschiedenen Fleischstücken.
Danach landete ich noch in einer griechischen Kneipe, mit deren Wirt ich mir bei Heineken vom Faß und einem (von ihm spendierten) Ouzo rasch über die meisten politischen Probleme Europas einig wurde. Er war sich sicher: Die beiden letzten Außenminister Deutschlands waren komplette Pflaumen, Westerwelle sowieso, aber auch Joschka Fischer. »Den hab ich doch hier noch in Frankfurt in der Innenstadt erlebt – fast jeeee-den Abend ist der in Handschellen abgeführt worden!« Bis er dann in der neuen Partei der Grünen seine Chance witterte und sie nutzte. »Mit Ökologie hatten die Leute um Joschka Fischer, die zu uns stießen, gar nichts am Hut!« klagte vor Jahren ein grünes Urgestein. Nö, natürlich nicht. Die hatten nur erkannt, daß sie mit einem linken Splittergrüppchen nichts werden konnten, daß die Grünen ihnen aber als Sprungbrett zur Macht dienen konnten ...
Abendspaziergang in der fast lauen Nachtluft über die Nidda in den Wörth-Park und den Main flußabwärts. Eine Gänsefamilie hatte noch ganz kleine Küken, so nahe am Winter – ob das gutging?
Dem Fernsehapparat konnte ich ebensowenig ein Bild entlocken wie vor Monaten auf einem billigen spanischen Hotelzimmer, auf dem weißverschneiten Bildschirm erschien nur ein Insert mit einer von fünf Minuten sekundenweise rückwärts zählenden Digitaluhr. Ob bei Null der Apparat gesprengt werden würde? Na, egal – lauschen wir dem Gequake der Enten und Gänse und lassen wir uns vom gelegentlichen Wellenschlag eines vorbeifahrenden Frachters in den Schlaf wiegen ...

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