27.10.22

Orwell nicht mehr gefragt - abgesagt! - Erlaubter Meinungskorridor gesetzlich verengt


George Orwell bei einer BBC-Radiosendung. Er sprach öfter im Rundfunk. Erhalten ist davon leider fast nichts. Bild: Wikipedia (wie auch die anderen Bilder)

Es muß wohl in Klasse 8 gewesen sein, als wir im Englischunterricht 1984 lasen. Im Gegensatz zu vielen meiner Mitschüler zwang ich mich dazu, den ganzen Roman auf englisch zu lesen, obwohl ich nur die Hälfte verstand. Auch folgende Stelle erschien mir damals rätselhaft (aus dem Gedächtnis und sinngemäß zitiert; der arme Winston ist in einer Zelle mit Leidensgenossen, selbst nachts wird das Licht nicht ausgeschaltet, und auf einmal tönt's aus dem Lautsprecher:) »Gefangener Nr. xy, Hände aus den Hosentaschen in den Zellen! Hände aus den Hosentaschen in den Zellen!!« Der erfahrene Marterpfahl-Leser weiß natürlich, wie ein solches Verbot zu deuten ist :-) 

Ich las es wohl vor einigen Wochen in Klonovskys Acta diurna: Das einzige George-Orwell-Gymnasium Deutschlands (in Berlin) will sich in »Schule am Tierpark« umbenennen. Die Verbindung seiner Schüler mit Orwell sei gering, so der Direktor, da solle man den Namen lieber umändern. - Kein Wunder, wenn man nichts über Orwell lehrt.

Vielleicht sollte man vor der Schule eine Kopie dieser Statue aufstellen: 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f1/George_Orwell_statue_-_BBC_London_%2838562767202%29.jpg

Orwell-Statue vor der BBC. Links am Bildrand steht wohl sein berühmter Ausspruch: »Wenn Freiheit überhaupt irgend etwas bedeutet, dann sagen zu dürfen, was andere nicht hören wollen.«

Der Blogger Hadmut Danisch widmet sich des Falls in seinem Blog so:

Einzige George Orwell-Schule umbenannt

Hadmut
14.10.2022 19:30

Noch ein Stück Niedergang.

In Berlin Lichtenberg gab es die einzige George Orwell-Schule Deutschlands. Die wurde diese Woche umbenannt, aber auf ihrer Webseite ist das gar nicht so klar, wie sie jetzt heißt. Angeblich „Schule am Tierpark“, weil sie eine Partnerschaft mit dem nahegelegenen Tierpark Berlin hat, um ihre Verbundenheit mit Affen und Rindviechern auszudrücken und die neuen ideologischen Ziele klarzustellen, nach denen man strebt.

Man kann jetzt spekulieren, woran es lag. Dürfen Schulen nicht mehr nach weißen Männern benannt sein, oder werden Kommunismusgegner in Berlin nicht mehr geduldet?

Oder wollte man George Orwell besonders huldigen, indem man ihn wie in 1984 einfach cancelled und alles umbenennt?

 


Die verlassene Farm Barnhill (ohne Strom und Telefon) auf der schottischen Insel Jura, auf der Orwell 1948 1984 schrieb; kaum ein Mensch pro Quadratkilometer lebt hier. Blickrichtung Osten, Richtung schottisches Hauptland. Das feuchtkühle, schwer (mit Torf) heizbare Gemäuer war nicht gerade optimal für Orwells angeknackste Lunge; wär er mal ins sonnig-milde Tanger gefahren!

Orwells Grabstein mit seinem bürgerlichen Namen; das Christentum lehnte Orwell ab, abgesehen von einigen Bräuchen

Ach ja - ein unerfreulicher Nachtrag: Der Bundestag hat kürzlich in einer Nacht(-und-Nebel?)sitzung eine Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen beschlossen. Dazu der Blogger Alexander Dilger hier: »Insbesondere Historiker müssen bei fachlichen Diskussionen künftig mit Strafverfahren rechnen. Aber auch wer sich nicht mit der kompletten Geschichte aller Länder dieser Erde auskennt, läuft Gefahr, eines der leider sehr vielen Kriegsverbrechen mangels Kenntnis zu leugnen oder zu verharmlosen. Was künftig in Deutschland noch gesagt werden darf, ist unbekannt und wird erst in der Zukunft von Gerichten genauer geklärt werden müssen. [...] Die neue Einschränkung der Meinungsfreiheit ist jedoch viel umfassender [als das Holocaustleugnungsverbot] und zugleich nicht hinreichend bestimmt, so dass die Rechtsstaatlichkeit und Liberalität in Deutschland ausgerechnet unter einem FDP-Justizminister weiter abgebaut werden.[...] Rumbrüllen nachts im Wald kann also durchaus im Gefängnis enden, wenn jemand zuhört und anzeigt. Selbst Äußerungen in geschlossenen Veranstaltungen können bestraft werden, rein privat zu Hause hingegen nicht. Eine Haftstrafe geht weit über Widerspruch hinaus und ist eine massive Beschränkung der Meinungsfreiheit, die gerade für der Regierung nicht genehme Meinungen und für demokratischen Meinungsstreit wichtig ist.« 

1 Kommentar:

Werner hat gesagt…

Lieber Rüdiger,

zur Aktualität George Orwells gäbe es noch viel mehr zu sagen, angesichts des vielen 'Neusprech', das uns ständig vorgeschrieben wird.

Zur angesprochenen Gesetzesverschärfung des Volksverhetzungsparagraphen gibt es einen interessanten Kommentar des kritischen Göttinger Juristen Wolfgang Bittner: https://apolut.net/volksverhetzung-eine-verschaerfung-der-strafbestimmung-von-wolfgang-bittner/

viele Grüße

Werner

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