18.1.10

Qualitätsjournalismus und Blogosphäre

In der aktuellen Sonntags-FAZ geht Jaron Lanier, 49 und einer der Pioniere des Internets, hart mit der Internet-Gratiskultur und der »Blogosphäre« ins Gericht. Einige Auszüge aus dem ganzseitigen Artikel:

»›Informationen wollen frei sein‹, heißt es. Stewart Brand, der Begründer des ›Whole Earth Catalog‹, eines legendären Verzeichnisses relevanter Publikationen der Gegenkultur, scheint es als Erster gesagt zu haben. Ich behaupte: Informationen verdienen es nicht, frei zu sein. Die Cyber-Totalitaristen tun gerne so, als wäre Information lebendig und hätte ihre eigenen Vorstellungen und Ziele.«

Eben. Ein Stuß, der auch durch dauernde Wiederholung nicht wahrer wird. In Worte gekleidete Informationen gehören dem, der sie so formuliert hat - wie ein Garten dem gehört, der ihn gekauft und beackert hat. Logisch.

»In den Anfangstagen der sogenannten offenen Kultur bediente ich mich einer Argumentation, die inzwischen zum Klischee verkommen ist: All die Dinosaurier der alten Ordnung sind rechtzeitig vor der kommenden digitalen Revolution gewarnt worden. Wenn sie sich nicht anpassen können, dann aufgrund ihrer eigenen Dickköpfigkeit, Unbeweglichkeit oder Dummheit. Sie sind selbst Schuld an ihrem Schicksal. So sprachen wir über unsere ersten Opfer wie Plattenfirmen und Zeitungen. (...) Heute vermissen wir sie mehr, als wir je zugeben wollten. Eigentlich geht das Eingeständnis, daß wir die verschwindenden ›Mainstream-Medien‹ vermissen, sogar in Ordnung, solange wir ihnen selbst die Schuld daran geben. 2008 machte Jon Talton in einem populären Blog die Zeitungen für ihren eigenen Niedergang verantwortlich. Da er sich an die Usancen der digitalen Revolution hielt und mit einer stereotypen Anklage schloß, lohnt es sich, ihn ausführlich zu zitieren: ›Das größte Problem ... bestand im Zusammenbruch eines untragbaren Geschäftsmodells. Vereinfacht ausgedrückt, bestand dieses Modell unter anderem darin, kurzberockte Vertreterinnen loszuschicken, damit sie Anzeigen zu Raubritterpreisen an lüsterne alte Gebrauchtwagenhändler und Heimwerkermarktinhaber verkaufen ... Heute geht der Absturz ungebrochen weiter, und der Schaden für unsere Demokratie läßt sich schwerlich übertreiben. Es ist kein Zufall, daß die Vereinigten Staaten just in dem Moment, als der echte Journalismus sich in einer Wagenburg verkroch, in den Irakkrieg gestolpert sind und wie gelähmt vor ihren schwerwiegenden innenpolitischen Herausforderungen stehen. Beinahe könnten die üblichen Verschwörungstheoretiker glauben, es hätte einen Masterplan dafür gegeben, uns dumm zu halten.‹ Dies ist natürlich nur ein kleiner Blogeintrag von Millionen. Er ist aber äußerst bezeichnend für den Tenor der Onlinekommentare. Noch nie hat jemand einen guten Rat für die sterbenden Zeitungen gehabt, aber man hält es immer noch für angemessen, ihnen die Schuld an ihrem eigenen Schicksal zu geben. Dabei wirft dieser phrasendrescherische Beitrag eine wichtige Frage auf, die in Onlinekreisen zu stellen tabu wäre, wenn man sie nicht hübsch in einer Verschmähung der Würde unserer Opfer verpackte: Wäre die amerikanische Geschichte in den vergangenen Jahren irgendwie anders verlaufen, weniger katastrophal, wenn das Geschäftsmodell der Zeitung nicht unter Beschuß gestanden hätte? Gewiß, es gab mehr Blogger, aber zugleich weniger Bob Woodwards und Carl Bernsteins [die die Watergate-Affäre aufgedeckt haben, R. H.], und das in einer Zeit, in der desaströse ökonomische und militärische Entscheidungen getroffen wurden. Die Jahre der Bush-Regierung gelten fast allgemein als eine Katastrophe, zu der der Trug der irakischen Massenvernichtungswaffen ebenso zählt wie die Implosion der Wirtschaft. Und statt sich einer hartnäckigen Presse stellen zu müssen, wurde die Regierung vage auf Blogger hingewiesen, die einander lautstark widersprachen und sich gegenseitig neutralisierten. Diesen oder jenen Skandal haben Blogger gewiß aufgedeckt, aber das taten auch die Blogger von der jeweiligen Gegenseite. Unter dem Strich produzierte die Blogosphäre leeres Gerede, wie es in den heute hochgejubelten flachen und offenen Systemen eigentlich immer geschieht.«

Genauso ist es. Und ich füge noch hinzu: Auch den Schmu bei George Bushs erster Wahl 2000 in Florida (mit den Wählerregistern und anderen »Unregelmäßigkeiten«) - das haben auch nicht die amerikanischen Massenmedien aufgedeckt, dazu brauchte es die BBC und Michael Moore. Einige schließen daraus: Schließt die traditionellen Medien. Andere schließen daraus: Rettet und hebt den traditionellen, professionellen Qualitätsjournalismus.

Der komplette Artikel

So, liebe Leser - jetzt können Sie sich zur Nacht aussuchen, auf welcher Seite ich stehe :-)

Keine Kommentare:

Im Schlafanzug durchs Weltall - im seidenen Morgenrock in den Nahkampf?

Wußten Sie schon, daß die Mannen in "Raumschiff Enterprise" Schlafanzüge trugen? Wenn man es weiß, sieht man es auch ... Wenn Schl...