30.11.11

Manroland ist pleite - ein Menetekel?

In kaum einer anderen Branche waren deutsche Unternehmen seit Gutenbergs Zeiten derart marktführend wie in der Druckbranche, und es ging ihnen gut. Jetzt wird das anders: Heidelberger Druckmaschinen waren schon vor Jahren in der Krise, und jetzt hat es Manroland erwischt. Seit 2008 sei das Geschäftsvolumen bei Druckmaschinen weltweit auf die Hälfte geschrumpft, hieß es. Offenbar addieren sich hier die allgemeine Wirtschaftskrise und die Krise der Printmedien.

28.11.11

Schnelles Internet in Nehren!

Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Kaum ist man mal drei Wochen lang nicht da (auf zwei Reisen verteilt), schon ist das schnelle Internet in Nehren in greifbare Nähe gerückt. Mein Stellvertreter sagte mir schon bei meiner Rückkehr, es habe wiederholt Anrufe und Emails gegeben, die mich zum Spenden aufriefen. Vor einer Woche stand es dann am Freitag in der Lokalzeitung: Die Wirtschaft Nehrens hatte zugesagt, innerhalb einiger Wochen die 115.000 Euro zusammenzuspenden, die nötig sind, damit die Telekom gnädigst ein Glasfaserkabel von Mössingen nach Nehren legt - und jetzt waren schon 99 % der Summe da, am Ende der Frist. Na, dann bedarf's ja meiner 100 Euro nimmer.

Aber eigentlich ist es ein Skandal, daß es solcher Verrenkungen überhaupt bedarf, um schnelles Internet zu bekommen - oder können Sie sich vorstellen zu spenden, damit in Ihrem Dorf ein Briefkasten aufgestellt wird? Heutzutage ist nichts mehr unvorstellbar.

Nun wird das unnütze Stuttgarter Milliardenloch also doch gebaut

... etwas anderes wäre auch ein Wunder gewesen. Selbst wenn die »Ja-zum-Ausstieg«-Sager in der Mehrheit gewesen wären, das Quorum von einem Drittel der Wahlberechtigten hätten sie schwerlich erreicht, und selbst wenn sie das auch noch geschafft hätten, hätte sich lediglich das Land aus der Finanzierung verabschiedet, weitergebaut worden wäre wahrscheinlich so oder so.

27.11.11

Westerwelle fühlt sich durchgerüttelt (DI, 11.10.11)

Nach dem Frühstück um zehn nach acht döste ich noch weiter bis 10 vor 10. Es hatte ja keine Eile heute. Zeit genug, sich zu pflegen. Eine Dusche und ein Klo gab’s für vielleicht 20 Kabinen auf dieser Etage, und die Dusche mußte man minutenlang aufgedreht laufen lassen, bis warmes Wasser kam. Eigentlich ganz schön primitiv für 65 Euro pro Nacht und Doppelzimmer, aber ein Schiff ist eben was ganz Besonderes.
Um 10.45 Uhr verließ ich das Hotelschiff und schlenderte 200 Meter bis an den Ostrand der Altstadt.
Die Straßenbahnlinie 11 verbindet die Schießhüttenstraße in Fechenheim, ganz im Osten, mit der Zuckschwerdtstraße in Höchst – welch kriegerische Namen! In Höchst fährt die 11 eine Schleife: An der Zuckschwerdtstraße heißt es »Endstation! Alles aussteigen!«, dann fährt die Bahn ca. 150 Meter vor, und am Bolongaropalast dürfen dann wieder Leute einsteigen – Leute wie ich, die in die Innenstadt oder zur Messe wollen. So nah am Hotel – kaum mehr als 250 Meter, selbst mit Ampelstop kaum fünf Minuten zu Fuß – hatte ich bislang noch keine Bahnhaltestelle. Es würde genügen, morgens um 8.10 Uhr loszustiefeln statt um 7.50 Uhr.
Bergauf aufs Main-Steilufer und weiter zum Bolongaropalast. Dieser ist zum Main hin pompös, während die Straßenfront zur Bolongarostraße hin relativ bescheiden wirkt.
»1772 bis 1774 ließen die aus Stresa am Lago Maggiore stammenden Kaufleute und Tabakfabrikanten Josef Maria Markus und Jakob Philipp Bolongaro den Palast errichten. Die Brüder Bolongaro hatten sich 1735 in Frankfurt am Main niedergelassen und dort die größte Tabakhandlung und Schnupftabakmanufaktur Europas gegründet. Trotz ihres dadurch erworbenen beträchtlichen Vermögens hatten sie sich vergeblich um das Bürgerrecht der Stadt Frankfurt am Main bemüht, das ihnen als Katholiken in der lutherischen Reichsstadt Frankfurt verwehrt wurde. Daher waren sie schließlich auf ein Angebot des Kurfürsten Emmerich Josef von Mainz eingegangen, sich in der 1768 gegründeten Höchster Neustadt anzusiedeln. 1771 wurde Josef Maria Markus Bolongaro Bürger von Höchst. Das Neustadtprojekt wurde nach dem Tod des Kurfürsten im Jahr 1774 aufgegeben, und auch die Bolongaros nutzten den Palast nur kurz. Nach dem Tode von Josef Maria Markus 1779 einigten sich die Erben mit dem Frankfurter Rat schließlich doch noch und erhielten 1783 das Frankfurter Bürgerrecht. Der Palast diente in der Folge als standesgemäßes Quartier diverser Heerführer während derKoalitionskriege, die bekanntesten waren der in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagene Kaiser Napoleon Bonaparte, der vom 1. auf den 2. November 1813 hier seine letzte Nacht auf damals deutschem Boden verbrachte (das nahe Mainz gehörte damals bereits zu Frankreich), sowie der ihn verfolgende preußische Marschall Blücher, der den Palast vom 17. November bis 27. Dezember als Hauptquartier nutzte.
Die Familie Bolongaro verkaufte 1862 ihren Palast an den Mainzer Fabrikanten Friedrich August Sonntag, der dort eine Fabrik für Gas- und Wasserleitungen einrichtete. 1880 kaufte der Rödelheimer Pfarrer Eduard Lohoff den Bolongaropalast, teilte die Liegenschaft in kleinere Einheiten auf und veräußerte einige davon weiter. Der Bolongaropalast wurde weiter als Fabrikgebäude genutzt, unter anderem als Messinggießerei oder zur Herstellung von Bettfedern. Dies führte zu Beschädigungen der reich ausgeschmückten Innenräume.
In den Jahren 1907 und 1908 kaufte die Stadt Höchst die parzellierte Liegenschaft den jeweiligen Eigentümern ab, restaurierte den Palast aufwendig für ca. 400.000 Reichsmark und führte ihn wieder einer repräsentativen Nutzung zu. Er diente von 1908 bis zur Eingemeindung der Stadt Höchst 1928 als Rathaus. Heute beherbergt er die Stadtbezirksverwaltung und im westlichen Pavillon des Parks ein Standesamt. Seit der Eingemeindung von Höchst besitzt der Frankfurter Oberbürgermeister ein Büro im Palast. Von 1947 bis 1950 hatte auch der Deutsche Landkreistag seine Geschäftsstelle dort. Der frühere Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb(* 1902, † 1956) wohnte im Westflügel des Palastes. Die Straßenfront der Nordfassade ist 117 Meter lang. Der Grundriß des dreiflügeligen Palasts hat die Form eines Hufeisens. Der Park, der sich auf der hinteren Seite befindet, fällt in zwei Terrassenstufen ab und wird im unteren Teil von zwei Gartenpavillons flankiert.« (Wikipedia)
Straßenfront des Bolongaropalasts, unweit der Trambahnhaltestelle
Südfront des Bolongaropalasts, Richtung Main
Und im Südwesten des Palasts das heutige Höchster Standesamt - und dann husch husch aufs Schiffchen! :-)
So so. Deshalb konnte also das »Hotelschiff Schlott« spezielle Hochzeits-Arrangements anbieten! Klar – das Standesamt ist kaum hundert Meter entfernt!
Am Bolongaropalast rein in die Trambahn und ostwärts! Bei halbwegs klarem Wetter sieht man von Höchst aus schon den Messeturm, das Ziel der Reise. Die Bahn kutschierte mich durch Nied. Ein paar grüne Wiesen, dann zeigte ein altes, grünes Haus mit der Hausnummer 800 das westliche Ende der ewig langen Mainzer Landstraße an. Man brauchte eigentlich gar nicht auf die Haltestellennamen zu achten, es genügte, auf die Hausnummern zu achten: Unterschritten sie die 250, so war die Galluswarte nicht mehr fern.
Galluswarte: Raus aus der Straßenbahn, rein in die S-Bahn, eine Station weit, dann rein in die Messe. Bis etwa 16 Uhr dekorierte ich. Nebenan war wieder dieselbe Künstlerin wie 2010, schräg gegenüber wieder der Goliath-Stand.
Gegen 16 Uhr kam Grimme von Charon mit seiner Nicole, dem Messegirl und »Fesselopfer«. Ich mußte mich verabschieden, denn es wurde Zeit für die Eröffnungsveranstaltung.
Einlaßkontrollen wie auf dem Flughafen. Innen drin eine Bar – ah, ein erstes kleines Bier! Kopfhörer für Übersetzungen waren zu haben, Pressetexte aller Reden (»Freigabe: 18 Uhr«).
Rein in den »Saal Harmonie«, in dem noch etliche Plätze leer blieben. Zuletzt zogen die Ehrengäste ein, namentlich von einem Sprecher begrüßt, darunter auch »Der Herrscher von Scha-Scha« oder so ähnlich. Letzteres weckte meine Neugier, aber ich konnte nichts Näheres sehen oder erfahren. (Wissen Sie, wo »Scha-scha« ist, verehrte Leser?)
Die Eröffnungsrede hielt wie üblich Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins. »Wer hat diesen Mundwinkel so heruntergezogen? Piraten, Piraten, Piraten!« lästerte die Messe-FAZ später – jene Mitglieder der Piratenpartei, die vor dem City-Eingang der Messe ganz offen für die weitgehende Abschaffung des Urheberrechts und die Legalisierung der Raubkopie demonstrierten mit Sprüchen wie »Control + C, Control + V« oder »Das Internet ist euer Tod«. Honnefelder nahm den Fehde-Handschuh auf und wetterte, der Abwehrkampf gegen Raubkopierer sei die wichtigste Schlacht der nächsten Jahre. Damit gab er das Leitmotiv der ganzen Veranstaltung vor. Bereits 60 Prozent aller deutschsprachigen Ebook-Inhalte würden illegal heruntergeladen, verkündete er. Für mich Grund genug, dem neuen Medium weiterhin skeptisch gegenüberzustehen.
»Als nächstes«, so die Messe-FAZ, »hielt Boos [, der Direktor der Buchmesse,] seine Lobrede auf das ›social reading‹ im Internet: Im lebendigen Austausch werde hier Literatur konsumiert. Wir hätten eine Situation vor uns, wie sie zuletzt zu den Lesegesellschaften des 18. Jahrhunderts geführt habe, als man sich zusammenschloß, um gemeinsam zu rezipieren. Warum aber mußte Boos – völlig grundlos – den Piraten trotzdem ein ungeheures Argument vor die Füße kullern? Lesegesellschaften, sagte er, seien ›Zweckgemeinschaften‹ gewesen, ›weil Bücher doch zunächst sehr teuer waren‹.«
Anschließend verbreitete Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth Platitüden, versprach gar unklugerweise, alle Islandsagas zu lesen, tausende von Seiten (»Versprochen ist leider versprochen – suche Partner (ausdauernd) zum gemeinsamen Lesen von Islandsagas, 4000 Seiten« fingierte die Messe-FAZ tags darauf eine Kleinanzeige), und der stellvertretende hessische Ministerpräsident Hahn »pries beherzt den Flughafen und die Autobahnknoten jener Stadt an, in welcher ›der Geist Goethes, aber auch viele andere, äh, sprüht‹.« Danach lieferten sich ein isländischer Schriftsteller und der isländische Staatspräsident »einen Wettstreit um die wortreichste Lobhudelei Islands als Hort des geschriebenen Wortes.« Für mich eine Erholungspause, denn ich hatte auf Übersetzungs-Kopfhörer verzichtet und konnte mich am Klang des Isländischen erbauen. Das taten übrigens vor Monaten auch die Besucher eines Berliner Kinos, die vor dem isländischen Botschafter und seiner Frau saßen, und als sie auf ihre Frage hin die Auskunft bekamen, bei der rätselhaften Sprache handle es sich um Isländisch, reagierten sie verblüffte: »Ja, können Sie sich denn so einen Kinobesuch überhaupt noch leisten?« Immerhin weiß seit der Finanzkrise jeder, wo Island ist, während die Insel in den 70er Jahren noch diplomatisch intervenieren mußte, um auch nur auf der ARD-Wetterkarte verzeichnet zu werden.
In der Tat mußten die Isländer sich nach der Decke strecken, um diese Verpflichtung, Partnerland der Buchmesse zu sein, mit Leben zu erfüllen; sie haben sich mächtig ins Zeug gelegt und viel geschafft: »Daß Island ungefähr die Einwohnerzahl von Bielefeld hat (...), wird seit zwei Wochen bei sämtlichen Islandkulturereigniseröffnungen vorgetragen. Trotz der paar Leute hat das kleine Land es mit vereinten Kräften geschafft, das bevölkerungsreichere Frankfurt mit einer Kulturkruste aus müffelndem Eishai, Wollpullovern und dickleibigen Büchern zu überziehen, auf deren Seiten sich Bauern auf möglichst interessante Weise erschlagen.« (Messe-FAZ)
Und dann kam der Utanríkisráđherra Þýskalands zu Worte, der »Außenreichsratsherr Deutschlands«, wie die Isländer in ihrer Vermeidung von Latinismen sagen, also Deutschlands Außenminister Gídó Vesturöld, äh, Guido Westerwelle. Von ihm kam, wie von allen Rettungs-Europäern, das rituelle Bekenntnis zu Europa, »gerade in Zeiten, wo es bestritten wird«. Damit das Bekenntnis nicht gar zu lang ausfiel, »bollerte« der Minister schon bald seinen Schlußsatz: »›Nicht nur die Isländer hat die Krise durchgeschüttelt‹, sagte er und erwies sich einmal mehr als Meister der Kunstpause, ›sondern auch … manchen anderen. Ich weiß auch nicht, warum ich das jetzt hier in Frankfurt sage.‹ Wir wissen es auch nicht.« (Messe-FAZ)
Dann war alles vorbei, wir mußten noch ein wenig sitzen bleiben, bis die Ehrengäste gegangen waren, ich hielt Ausschau nach dem »Herrscher von Scha-Scha«, erblickte aber weder diesen noch eventuelle tiefverschleierte Frauen in seinem Schlepptau, war ein wenig enttäuscht und erhob mich schließlich auch.
Am Sonntagnachmittag fand im »Saal Harmonie« die Prämierung der besten Costume Player statt, ein, zwei Stunden später sogar ein Lolita-Wettbewerb. Das waren sicher nettere Veranstaltungen.
Als ich nach über drei Stunden gegen 18.45 Uhr wieder an unserem Stand war, hatten die Charonesen sich schon in den Feierabend zurückgezogen, hatten nur eine Mobilfunknummer für dringende Fälle zurückgelassen. Die »bookfactory« kam dagegen gerade erst, jene Druckerei, die vor Monaten mein »2 x Frankfurt«-Buch gedruckt hatte. Schräg gegenüber von uns nahm sie den Stand ein, den 2010 ein Hersteller teurer Kunstdrucke innegehabt hatte, dessen schwerer, ausladender Kunstdruck-Ständer immer in den Gang hineingeragt hatte.
Nach rund einer weiteren Stunde Arbeit – Einlegen von Werbehinweisen auf meine Lesung in die Verlagsprospekte – war alles fertig. Ich packte einige der mit Geschenkband zusammengeschnürten Päckchen mit Auslauftiteln in Stofftüten, ging raus zur S-Bahn und fuhr dort zum Bahnhof Ostendstraße, ganz so, als wohnte ich in Sachsenhausen und nicht in Höchst. Ausgang Ostendstraße. Ich fand mich nicht zurecht, ging wieder in die S-Bahn-Station und verließ sie an ihrem anderen Ende (»Hanauer Landstraße«). Erst mal ein saftiges, großes Steak in derselben Sportkneipe wie 2010, dann weiter zur Venusberg-Bar, die Bücherpakete abliefern. Der Initiator des Ganzen, Herr Engel, der mit dem »Sudfaß«-Puff (so die korrekte Schreibweise, nicht »Südfaß«) das Geld für diese Erotika-Sammlung und diese Bar verdient hatte, war auch da, spendierte mir ein Bier, und wir unterhielten uns mit einer Handvoll Gästen ganz nett. Ich ließ meine Bücherpakete da und trollte mich nach ein, zwei Stunden wieder zur S-Bahn, fuhr bis Galluswarte und von dort mit der Straßenbahn 11 bis nach Höchst. Ein »Irish Pub« bot sodann noch Gelegenheit, bei Strong Bow Cider und Kilkenny die Probleme von Gleitsichtbrillen zu erörtern ...
Gegen Mitternacht spazierte ich wieder zu meinem Hotelschiff

21.11.11

Aller guten Dinge sind drei - Frankfurter Buchmesse 2011 - zum 3. und letzten Mal (Teil I)

Sonntag, 9.10.2011: Frisch aus der Druckerei

Um 15 Uhr wollte ich weg sein; tatsächlich wurde es dann 16.20 Uhr. Kurzer Stop in Leonberg bei einer Bekannten, anschließend vor der Autobahn noch einmal auftanken. Die Tankstelle war überfüllt, ich mußte warten, es herrschte drangvolle Enge.
Schließlich war ich nordwärts Richtung Heilbronn unterwegs auf der A 81, dann ostwärts auf der A 6 Richtung Nürnberg, die sinkende Sonne im Rücken. Morgen würde ich noch fünf Neuerscheinungen aus der Druckerei holen müssen, die ich in Frankfurt präsentieren wollte. Außerdem war ich am Dienstagnachmittag zur feierlichen Eröffnungsveranstaltung der Buchmesse eingeladen. Jawohl – ich darf Herrn Westerwelle leibhaftig sehen! Wer weiß, wie lang es noch Gelegenheit dazu gibt ... »Herzlichen Glückwunsch!« hatten mir dann immer alle, mit denen ich darüber redete, ironisch gewünscht. Aber warum soll man sich solchen einen Festakt nicht mal ansehen? Die beiden ersten Male war ich nicht eingeladen gewesen – offenbar zählte ich beim dritten Mal schon zum Establishment ... (Wochen zuvor hatte ich eine Anfrage bekommen, ob ich dort hinwollte, und als ich mit Ja antwortete, kam eine Einladung – offenbar hatten sonst nicht allzuviel Leute Interesse, Herrn Westerwelle zu sehen, sonst hätte ich in die Röhre geguckt.)
Der Tag geht, Bayern kommt. Nordwärts vorbei an Nürnberg und auch ein Stück weit auf normalen Straßen durch die Stadt. Am Autobahnkreuz Fürth/Erlangen ostwärts. Nach wenigen Kilometern links, nordwärts, zwei Hotels, darunter ein Etap-Hotel. Gleich darauf verließ ich die Autobahn, rollte an dem riesigen »Autohof« (einer Raststätte für Lkw-Fahrer) vorbei in das Gewerbegebiet Erlangen-Tennenlohe, vorbei an der Adresse der Druckerei (2002 war ich schon einmal hier, als »Scipia, Sklavin der Römer« erschien) und zum billigen Etap-Hotel (47 Euro mit Frühstück), in dem ich um halb neun eincheckte. Viele Polen und Rumänen übernachteten hier, der Parkplatz war voller Kleintransporter und Kleinbusse, junge Osteuropäer auf der Durchreise – logisch, die A 3 von Frankfurt her ist ja eine Hauptdurchgangsroute Richtung Balkan.
Ein Restaurant in zehn Minuten Entfernung zu Fuß hatte ebenso zu wie der »Saunaclub Afrodit«. Typisch Sonntagabend. Was nun? Westwärts unter der Autobahn durch und zwei Kilometer weit im Dunklen ins nächste Dorf, wo laut Google-Maps ein Lokal sein soll? Und was, wenn das ebenfalls schon zu war?
Ich wanderte ostwärts, vorbei an den riesigen Lkw-Parkplätzen des Autohofs, auf denen osteuropäische Fahrer neben ihren Lastern standen und schwatzten, vorbei an einer dazugehörigen Tankstelle mit Restaurant, und kurz danach war ich in den dörflichen Straßen von Tennenlohe mit z. T. alten Fachwerkhäusern. Wenn nur dieses laute Verkehrsrauschen nicht wäre! Das stört die Idylle. Auf drei Seiten ist Tennenlohe von Autobahnen bzw. der vierspurigen B 4 umgeben, und das große Gewerbegebiet soll offenbar noch erweitert werden – sofern das Volk am 23.10. zustimmt, so informierten mich Plakate am Wegesrand. »Um Gottes Willen – noch mehr Krach und Dreck!« entsetzten sich die Gegner, und »Ja! Noch mehr zukunftssichere Arbeitsplätze!« jubilierten die Befürworter.
Der »goldene Schwan« in Tennenlohes Ortsmitte hatte offenbar auch zu, alles war dunkel und still – bis auf das Hintergrundrauschen. So kehrte ich um und wenig später ein in die Autohof-Gaststätte, die gemütlicher war als gedacht, mit viel Biergarten-Charakter, auch wenn man zu dieser Jahreszeit natürlich nicht mehr draußen sitzen konnte. Es standen viele Wildgerichte auf der Karte, ich entschied mich für ein Wildmufflonsteak mit Reis und gedachte jenes Tages im Herbst 2000, als ich mit einer Autorin in einem Dorflokal bei Würzburg zusammensaß, das sogar Straußeneier und Krokodilsteaks auf der Karte hatte. Aber die seien zäh wie Leder, hatte mich meine Autorin gewarnt. So war ich auch damals beim Mufflon, einer Art Wildschaf, geblieben, zumal die Bedienung treuherzig meinte: »Klapperschlange kann ich Ihnen leider noch nicht bieten!«
Spaziergang zurück zum Hotel. Die Lärmschutzfenster dämpften das Rauschen der nahen A 3; öffnete man sie auch nur einen Spalt breit, wurde es unerträglich ...

Montag, 10.10.2011: Ich schiffe mich ein

Um zehn nach sechs war ich wach und schmökerte in Arne Hoffmanns Buch »Kamasutra am Arbeitsplatz«, schrieb endlich die Rezension, die ich ihm schon lange versprochen hatte. Noch vor sieben Uhr war ich unten in der Lobby und setzte mich an das Internetterminal, um die Rezension auf Amazon.de zu posten. Etwas mehr Reklame für meine Lesung am Donnerstag könnte auch nicht schaden, dachte ich mir und postete eine Meldung auf der Mailingliste SWL, der Mailingliste für die SM-Szene – die aber nicht weitergereicht wurde, weil sie nicht von meinem heimischen Rechner und nicht von dem üblichen Email-Konto aus kam.
Weg vom Rechner und drei Meter weiter zum Frühstück. Dabei ein wenig in der ausliegenden Zeitung schmökern: Für viele gebildete Russen der Mittelschicht, etwa 20 Prozent der Bevölkerung, sei die Aussicht auf Putins Wiederkehr das Signal, ihrem Heimatland endgültig den Rücken zu kehren, las ich.
Nach so viel frühmorgendlicher Dynamik auf dem Zimmer erst mal noch ’ne Runde weiterdösen. Ohnehin herrschte draußen mittlerweile ein so grau-verregnet-trübes Wetter, daß man am liebsten den ganzen Tag im Bett geblieben wäre.
Aber geht ja nicht … Also raffte ich mich wieder auf, lud die Koffer ins Auto und rollte wenige hundert Meter weit bis auf den Hof der Druckerei Print Com. Bald darauf saß ich dem Chef, Herrn Grund, beim Kaffee gegenüber, und nach einigem Fachsimpeln lud ich schließlich von jeder der fünf Neuerscheinungen rund 15 Stück in meinen Wagen, den Rest ließ ich mir nach Hause schicken. Zwar hatte ich von jeder Neuerscheinung diesmal nur 100 Stück drucken lassen, aber es war trotzdem zu viel für meinen bereits arg vollgeladenen Kombi.
Auf die A 3 gen Nordwesten. Träge rollte ich in Richtung Frankfurt dahin, hörte Deutschlandfunk auf Langwelle. Würzburg. Das Wetter kann sich nicht entscheiden, ob es regnen soll oder nicht. Nervig – Scheibenwischer an, Scheibenwischer aus. Die Hügel Frankens und des Spessarts ziehen vorbei. Die heutige Autobahnraststätte Spessart liegt etwa da, wo früher das berühmte »Wirtshaus im Spessart« an einer Straßenkreuzung lag. Es wurde 1958 wegen des Autobahnbaus abgerissen, gerade als der gleichnamige Film in die Kinos kam.
Ganz allmählich hellt es sich auf. Ich fuhr an Aschaffenburg vorbei, Bayerns nordwestlichster Stadt, weniger als eine Stunde von Frankfurt entfernt. Der Regen geht, Hessen kommt!
… aber windig war’s, sehr windig, stellte ich fest, als ich auf dem obersten, offenen Parkdeck des Parkhauses neben Halle 4 aus meinem Wagen stieg. An der Ecke des Parkdecks war der Aufzug, mit dem mußte ich eine Etage tiefer fahren, dann ein paar Korridore entlanglaufen und dann mit einem anderen Aufzug noch einmal tiefer fahren – genau wie 2010 eben.
Doch die Lichtschrankentür zum Vorraum des Aufzugs auf dem Parkdeck war defekt. Neben mir wartete schon bald ein halbes Dutzend Aufbauwillige, manche mit hohen Stapeln von Bücher- und Weinflaschenkartons auf Sackkarren. Einer versuchte, mit dem Handy irgendwen Zuständigen von dem Defekt zu unterrichten. Letzten Endes half alles nichts – ich mußte (wie die anderen) meinen Kram mit dem Rollwägelchen die Autorampe einen Stock weit runterfahren, dann dort durch das ganze Parkdeck schieben, dann noch mal mit dem Aufzug – bedient von einer penibel-korrekten Fachkraft, schööön langsam und nach Vorschrift – einen Stock runterfahren, bevor ich in die Halle 4.1. kam. Und das alles dreimal nacheinander.
Diesmal war wenigstens die Blende über dem Stand mit dem Namen »Charon Verlag / Marterpfahl Verlag« da, die ich bestellt hatte. 2010 hatte ich auch eine solche Blende bestellt und eine schmale Glasvitrine, und beides war nicht geliefert, aber berechnet worden – und ich Depp hatte es auch noch bezahlt, weil ich in der Vorweihnachtshektik nicht so genau auf die Rechnung geschaut hatte. Aber das Geld hol ich mir jetzt zurück – auf die Bezahlung der diesjährigen Leistung werden die lange warten können, das will ich verrechnet haben …
Ich popelte mit dem Taschenmesser Löcher in die Wandbespannung, hängte die Wandschienen ein, auf denen die Bücher stehen sollten, befestigte Buchcover an der leeren Wand rechts neben unserem Stand, dekorierte Pakete mit billigen Auslauftiteln in hübsche Geschenkkörbe und plazierte die beiden innen hohlen, also als Stauraum geeigneten Hocker, einen roten und einen weißen. Oder tat ich das alles erst am Dienstag? Vielleicht – denn am Montag reichte die Zeit nur, um möglichst viel von dem Messegut auf den Stand zu tragen und erste Arbeiten zu verrichten. Als nach ein, zwei Stunden alles schon halbwegs manierlich aussah, setzte ich mich wieder in meinen Wagen, hatte ich doch versprochen, mein Hotelzimmer bis gegen 18 Uhr zu beziehen.
Runter die vielfach gewundene Rampe, raus aus dem Gelände durch Tor Süd, nach links abbiegen, in der Haltebucht einer Bushaltestelle Blick auf den ausgedruckten Stadtplan, weiter geradeaus – und jetzt nach rechts in die kilometerlange Mainzer Landstraße. Ja, da vorne war ja schon eine Straßenbahn der Linie 11, die fuhr ja genau nach Höchst – wo ich hinwollte. Die Mainzer Landstraße müßte ich nun bis zu ihrem Ende durchfahren, dann weiter geradeaus, und schon wäre ich (fast) da. Diesmal hatte ich in Höchst Quartier genommen, ganz an der entgegengesetzten Ecke von Sachsenhausen. Schon um etwas Zeit zu haben, mich einzugewöhnen, war ich froh, diesmal schon am Montag angereist zu sein.
Ich rollte westwärts wie die Straßenbahn, einige Kilometer weit. Aber ach – wenn man weiter den Wegweisern nach Höchst folgte, wurde man dann im Bogen auf eine vierspurige Straße nach Süden geleitet, über den Main hinüber, obwohl doch Höchst auf dem Nordufer des Mains liegt. Um der Mainzer Landstraße weiter zu folgen, hätte ich wohl den Wegweisern nach Nied folgen müssen …
War ich hier falsch, auf der Südseite des Mains? Nein. Schon wurde die breite Straße im Bogen wieder an den Main zurückgeführt, auf dessen Nordufer die Silhouette von Höchst mit seiner Altstadt und dem Schloßturm erkennbar wurde.
Die meisten werden bei »Höchst« nur an Industrie denken, aber das ist nicht alles. Höchst hat eine hübsche Altstadt mit Fachwerkhäusern, Schlössern und Palästen, die im Zweiten Weltkrieg trotz der Industrienähe seltsamerweise völlig verschont blieb und nicht wenige Kneipen beherbergt …
Schon hatte ich wieder den Main überquert, war rechts abgebogen und rollte durch die Bolongarostraße mit ihren Fachwerkhäusern. Noch einmal nach rechts, und schon war ich beim »Hotelschiff Schlott«, das diesmal mein Quartier sein sollte. Neben zwei oder drei Hausbooten war es an der Mündung des Flüßchens Nidda in den Main vertäut, begab sich in den Sommermonaten aber auch schon mal auf Reisen, auf kürzere Ausflüge zumeist, war für solche Zwecke buchbar – und als Hotel eben. Die Einzelzimmer waren alle schon vergeben, als ich im Mai anfragte – aber die teureren Doppelzimmer boten auch mehr Platz als die schiffskabinentypisch engen Einzelzimmer.
Montag war Ruhetag des Schiffs-Restaurants, aber ein Bier bekam ich nach dem Einchecken trotzdem. Der gemütliche Abend konnte beginnen.
Echt gemütlich: Hotelschiff Schlott
Der Main macht bei Höchst eine Kurve, und Höchst – am Nordufer dieser Biegung – hat ein richtiges kleines Steilufer, es geht bis zur Altstadt locker zehn Höhenmeter bergauf. Zwischen Nidda und Main gab es einen grünen, an der Mündung der Nidda spitz zulaufenden Park – nachts ein beliebter Ort für Jugendliche, die nicht ins Bett finden können. Wenige Dutzend Meter vom Hotelschiff entfernt setzte eine kleine Personenfähre nach Bedarf ans Mainsüdufer über, von wo aus man nach anderthalb Kilometern Alt-Schwanheim erreicht hätte – aber den Fährbetrieb gab’s nur von 9 bis 18 Uhr – also nix für die Kneipentour dort drüben ...
Abendspaziergang durch die Höchster Altstadt. Hinter den »altdeutschen« Fassaden steckt viel Multikulti, das merkt man an den Gesprächen der Straßenkids ebenso wie an den Speisekarten (spanisch, griechisch, türkisch) wie anderntags am Personal in der Straßenbahn. Da ist das Ausländische nicht mehr Beiwerk, sondern das Deutsche droht zum Beiwerk zu werden. So deutlich wie dieses Mal war mir das noch nie aufgefallen.
So auffällige Geschäftsstellen von Parteien hatte ich bislang auch noch nirgends gesehen. Vor der Geschäftsstelle der Linkspartei hing eine rote Socke, geschnitzt aus Holz ...
Ich landete schließlich nahe dem Höchster Schloß im gemütlichen und stark besuchten Restaurant »Zum Bären«. Auch hier stand wieder viel Wild auf der Karte: Wildschweinkeule, Elchsteak – aber als ich das las, hatte ich schon, der Anpreisung vor der Tür folgend, die »Bärenpfanne« bestellt – auch nicht schlecht, auch wenn sie nicht aus Bärenfleisch bestand, sondern aus verschiedenen Fleischstücken.
Danach landete ich noch in einer griechischen Kneipe, mit deren Wirt ich mir bei Heineken vom Faß und einem (von ihm spendierten) Ouzo rasch über die meisten politischen Probleme Europas einig wurde. Er war sich sicher: Die beiden letzten Außenminister Deutschlands waren komplette Pflaumen, Westerwelle sowieso, aber auch Joschka Fischer. »Den hab ich doch hier noch in Frankfurt in der Innenstadt erlebt – fast jeeee-den Abend ist der in Handschellen abgeführt worden!« Bis er dann in der neuen Partei der Grünen seine Chance witterte und sie nutzte. »Mit Ökologie hatten die Leute um Joschka Fischer, die zu uns stießen, gar nichts am Hut!« klagte vor Jahren ein grünes Urgestein. Nö, natürlich nicht. Die hatten nur erkannt, daß sie mit einem linken Splittergrüppchen nichts werden konnten, daß die Grünen ihnen aber als Sprungbrett zur Macht dienen konnten ...
Abendspaziergang in der fast lauen Nachtluft über die Nidda in den Wörth-Park und den Main flußabwärts. Eine Gänsefamilie hatte noch ganz kleine Küken, so nahe am Winter – ob das gutging?
Dem Fernsehapparat konnte ich ebensowenig ein Bild entlocken wie vor Monaten auf einem billigen spanischen Hotelzimmer, auf dem weißverschneiten Bildschirm erschien nur ein Insert mit einer von fünf Minuten sekundenweise rückwärts zählenden Digitaluhr. Ob bei Null der Apparat gesprengt werden würde? Na, egal – lauschen wir dem Gequake der Enten und Gänse und lassen wir uns vom gelegentlichen Wellenschlag eines vorbeifahrenden Frachters in den Schlaf wiegen ...

Im Schlafanzug durchs Weltall - im seidenen Morgenrock in den Nahkampf?

Wußten Sie schon, daß die Mannen in "Raumschiff Enterprise" Schlafanzüge trugen? Wenn man es weiß, sieht man es auch ... Wenn Schl...