5.12.06

Die FAZ und der Marterpfahl ...

Irgendwie lag es schon seit einem Jahr in der Luft; nämlich von dem Moment an, als einer der FAZ-Macher die vom Rat für Rechtschreibung vorgeschlagenen Kompromißregelungen, die viele alte Schreibweisen wiederherstellten, lobte - und die FAZ sich Tage später dazu genötigt sah, Gerüchte zu dementieren, sie wolle auf die Reformschreibung, und sei es auch nur diese gemäßigte »Kompromißschreibung«, einschwenken.

Die FAZ hat's nämlich nicht leicht mit ihrer mehrheitlich stockkonservativen Leserschaft. Schon als vor einigen Jahren die ersten bunten Bilder im Reiseblatt auftauchten, argwöhnten konservative Gemüter, die FAZ sei nun wohl schon auf dem besten (oder vielmehr schlimmsten) Weg zu so einem neumodischen bunten Bilderblatt und zu inhaltlicher Verflachung, und als gar im Dezember 2005 - ohne Vorankündigung - die ersten roten Balken auf der Titelseite auftauchten, es generell mehr Farbe auch im Politik-, Wirtschafts- und Feuilletonteil gab, da heulten 80 % der Leser unisono auf. Unter der Überschrift »Die Farbe Rot - was Leser meinen« brachte die FAZ seitenlang Leserbriefergüsse zur Neuerung, die meisten von einem tiefen Strukturkonservatismus, der jeglicher Änderung, besonders bei der geliebten FAZ, abhold ist. (»Als ich heute morgen die FAZ aus dem Briefkasten holte, fühlte ich mich ganz fremd ...« - wegen des einen (kleinen) roten Balkens auf der Titelseite.) Bei manchen Briefen konnte man meinen, der Untergang des Abendlandes stehe kurz bevor.

Die Fraktur der Kommentarüberschriften ist auch nicht mehr das, was sie mal war - vor einigen Jahren verlor sie einige Zierlinien, und seit ein, zwei Jahren wird das lange s nicht mehr verwendet (also ich denke da auch konservativ: Wenn schon Fraktur, dann auch mit korrektem langem und rundem s, so viel kann man auch jüngeren Lesern zumuten).

Und jetzt, am Samstag, dem 1. Dezember, war es nun also soweit: Es gab eine kleine Meldung (»FAZ paßt Rechtschreibung an«) und einen großen Leitartikel (»Um der Einheitlichkeit willen«), der einem Großteil der Leserschaft das erste Adventswochenende verdorben haben dürfte ... Ab dem 1. Januar 2007 wird die FAZ in der denkbar zurückhaltendsten Variante der neuen Rechtschreibung gehalten sein und nimmt sich die Freiheit, rund ein Dutzend Wörter wie »Tolpatsch«, »behende« oder »Stengel« auch weiterhin »alt« zu schreiben. »Wir sind uns bewußt, daß viele unserer Leser in dieser Frage nach wie vor jeden Kompromiß ablehnen. Im Privatleben kann man eine solche rigorose Haltung aufrechterhalten, für eine Zeitung gilt das nicht. Wir müssen um der Einheitlichkeit willen unsere Bedenken in Einzelfragen hintanstellen, und wir müssen auch an unsere jüngeren Leser denken, die in der Schule die neuen Regeln erlernen müssen ...«(sinngemäß zitiert)

Die Springerpresse, die nach dem 3. Oktober 2004 so theatralisch von »neu« auf »alt« zurückschaltete (und dabei jede Menge Fehler machte, jahrelang eingeschliffene Gewohnheiten lassen sich eben nicht so einfach wieder »zurückschalten« - ähnlich wie die FAZ schon seit Monaten ihre Presseschau irrtümlich »Stimmen der Anderen« überschreibt, obwohl meines Wissens nach der alten Rechtschreibung »die anderen« ausnahmslos klein geschrieben wird), ist schon längst auf die Kompromißschreibung umgeschwenkt, und der SPIEGEL, der im August 2004 zusammen mit Springer die Rückumstellung ankündigte, hat sie gleich ganz unterlassen - als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet (was Matthias Grimme von den SCHLAGZEILEN peinlich berührte, denn er haßt die Neuschreibung auch, wollte aber nicht allein dastehen).

Und was wird nun »aus dem Marterpfahl«? Sollen über unsere Seiten nun Wortmonster wie »Flussschifffahrtssaison« marschieren? (Das ist kein von Reformgegnern konstruiertes Beispiel, das Wort kommt des öfteren in der Autobiographie der lettischen Außenministerin Sandra Kalniete - »Mit Ballschuhen im Schnee« - vor, die ihre Kindheitsjahre erzwungenermaßen in Sibirien verbrachte, wo die Flussschifffahrtssaison bedeutend kürzer war als das monströse Wort in der Neuschreibung). Ich werd's wohl weiterhin so halten wie bislang. »Einheitlichkeit« - pah! Anfangs stellte ich »neue« Manuskripte von Hand auf »alt« um, später wurde mir das zu unbequem, und ich korrigierte sie selbst, so gut es ging, dabei ziemlich willkürlich vorgehend, oder gab sie gleich (noch besser) anderen Leuten zum Korrigieren. Autoren, die »alte« Manuskripte anliefern, bei denen laß ich's natürlich bei »alt«. Bei meinen selbstverfaßten Sachen werd ich wohl bis auf weiteres noch bei der alten Schreibung bleiben, auch bei Schreibweisen, die zuletzt noch nicht einmal mehr die FAZ anwandte (»Miß Longherd«, »Fitneßstudio«, »Shampoon« - sprich: /Shampoohn/, mit langem O wie in »Boot«, nicht mit U wie in »suhlen«). Bei letzterem Wort wird es am deutlichsten, warum ich das mache: Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie meine Mutter sich in den 80er Jahren immer aufregte, wenn in einer Fernsehreklame von /Shampuuuhh/ die Rede war statt von /Shampoohhn/. Ich seh das genauso: Ich kann keinen vernünftigen Grund für den Wandel erkennen und keinen Grund, weshalb die neue Wortform, die sich durchgesetzt hat, BESSER sein soll als die alte. Manchmal kann man einen solchen Grund erkennen, diesmal nicht. Also warum soll ich diesen Wandel mitmachen? »Das machen alle so!« ist für mich kein hinreichender Grund. (Auch wenn Sprache Konvention ist).

(Was mich ebenfalls erbost: »200 Reporter waren VOR ORT« statt »an Ort und Stelle« - befinden wir uns in einer Bergwerksreportage?
»x ist achtmal höher als y« - gemeint ist aber: »x ist achtmal so hoch wie y.« Der Komparativ gibt das Ausmaß der Vergrößerung an: »30 % höher« heißt: Auf das gleich 100 gesetzte ursprüngliche Maß werden noch 30 % obendrauf gepackt. »Achtmal höher« müßte eigentlich heißen: Auf das ursprüngliche Maß x wird noch mal das Achtfache obendrauf gepackt, so daß insgesamt der neunfache Wert des Ausgangswerts erreicht ist. Vollends absurd sind Formulierungen wie »x ist achtmal kleiner als y« - wenn man von einem Wert x das Achtfache abzieht, landet man bei einem Ergebnis weit unter Null. Gemeint ist vermutlich: »x ist nur ein Achtel so groß wie y.«
Permanent falsche Wortfolge im Weil-Satz: »Ich mach das gern so, weil - das ist so schön.« Wahrscheinlich wandelt sich hier das Deutsche bei der Wortfolge in Nebensätzen gerade von einer SOV(Subjekt-Objekt-Verb) zu einer SVO-Sprache, wie bereits jetzt in Hauptsätzen und wie fast alle modernen europäischen Sprachen, aber das führt hier zu weit ins Sprachwissenschaftliche.
Von Überflüssigkeiten wie »zeitgleich« - statt »gleichzeitig« - gar nicht zu reden ...)

So werd ich wohl weiterhin bei Selbstverfaßtem meinen alten Gewohnheiten frönen, sei es aus Trotz, sei es aus Faulheit, und mein momentanes (sich über die Jahre wandelndes) ästhetisches Empfinden wird darüber entscheiden, ob ich Schreibweisen wie »Telephon«, »Stewardeß«, »Busineß« oder »Stories« (so bei Rowohlt-Hemingway-Taschenbuchausgaben der 50er Jahre regelmäßig, und so ist's auch okay, um den knallharten amerikanischen Charakter solcher short stories zu betonen) noch weiter sehen mag oder nicht. Man wird sehen, wie sich das entwickelt. Ich hab diese alberne, überflüssige Reform nicht bestellt, also ignoriere ich sie weiterhin; wenn aber Milliarden von Lesern schimpfen und abspringen, überleg ich's mir vielleicht noch mal (widerstrebend, denn unter Zwang werd ich eher noch trotziger ;-)

Ansonsten wünsche ich eine schöne Adventszeit!

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Ja, nicht die kleinen Tassen sind gemeint, sondern die lieben Kleinen. Bis 1956 waren - siehe links - Cidre, Bier und Wein in französischen ...