19.2.13

Kneipensterben II - diesmal eine berühmte!

Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Kneipen in Deutschland um rund ein Drittel geschrumpft, nur Berlin lebt mit einer Verdoppelung gegen den Trend. Wie sich das Kneipensterben in meiner Umgebung, südlich von Tübingen (das immer noch rund 100 Lokale hat), auswirkt, darüber hatte ich hier schon einmal berichtet. In Baden-Württemberg hat zwar die Zahl der Kneipen entgegen dem bundesweiten Trend seit 2001 um 15 % zugelegt, aber das betrifft wohl nur einige »hippe« Gegenden und Universitätsstädte, nicht meinen Wohnort Nehren und dessen Umgebung - obwohl wir nahe bei Tübingen und Reutlingen sind und stark wachsen. Kein Vergleich mit ländlicher Einsamkeit wie auf der Alb und in Oberschwaben - außer beim Kneipensterben, das trifft uns hier offensichtlich genauso ;-)

Besondere Aufmerksamkeit findet das Kneipensterben i. d. R. nur, wenn es eine ganz besondere Kneipe erwischt, ein ganz besonderes Restaurant - so in der FAZ vom 14.2.2013: »Der Adler fliegt nicht mehr«. 1525 hätten sich im Lokal Adler im allgäuischen Großholzleute (bei Isny) schon die Bauern getroffen, um den Bauernkrieg vorzubereiten - ob sie nach ihrer Niederlage auch ihren Frust dortselbst ertränkt haben, darüber ist nichts überliefert. (Napoleon über den Champagner: »Nach dem Sieg verdienst du ihn, nach der Niederlage brauchst du ihn.«) 1770 war Marie-Antoinette, die später geköpfte Königin Frankreichs, hier zu Gast, Maria Theresia hat auch mal vorbeigeschaut, und 1958 gar ging es ganz hoch hinaus: Da trug Günther Grass vor der versammelten GRUPPE 47 einige Kapitel aus der im Entstehen begriffenen »Blechtrommel« vor, was den ebenfalls anwesenden, soeben aus Polen zugezogenen Marcel Reich-Ranicki »nahezu begeisterte«.

Und jetzt erleidet der ADLER dasselbe Schicksal, das auch schon etliche andere, weniger berühmte Kneipen traf: Die Leute interessieren sich nicht mehr so wie früher dafür, in die Kneipe zu gehen. Jüngere hängen öfter in Facebook ab, abgesenkte Promillegrenzen und Rauchverbote nerven, und das soziale Leben verlagert sich mehr und mehr in Gemeindehäuser, Vereinsheime, anderswohin ... Die gegenwärtigen Wirtsleute hätten viel Geld in das Haus gesteckt, aber wenig daraus geerntet, sie haben die Nase voll und schmeißen hin, suchen seit zwei Jahren vergeblich nach einem Käufer. Das findet der Tübinger Regierungspräsident Strampfer »sehr bedauerlich« und will das »Juwel« erhalten - aber zu den Stammgästen gehört er sicherlich nicht, und das wird sich in Zukunft wohl auch nicht ändern. Die Politik hat das Kneipensterben entdeckt und will was tun, viele Bürger bekunden, daß sie das Kneipensterben auch bedauerlich fänden - aber das Wirkungsvollste, das sie tun könnten, nämlich öfter in Kneipen zu gehen, das tun sie eben nicht. Es ist wie vor Jahren, als viele Bürger in Umfragen, nostalgisch gestimmt, sagten, sie würden gern wieder mehr VW Käfer auf den Straßen sehen - nur fahren sollen den dann andere, selber möchte der Nostalgiker doch lieber ein moderneres Auto ...

Es ist traurig, aber es ist leider so: Gegen den Markt irgendwas Altes erhalten zu wollen, bringt auf die Dauer nur Frust, Kosten und Verdruß, aber selten etwas Gutes. Dinge haben ihre Zeit, und die vergeht leider *seufz* - auch bei den Kneipen - unwiderruflich meist: »They never come back.« *megaseufz und ZISCH ein tröstendes Bier öffne*

Keine Kommentare:

Hoch die Tassen! Auch die Kleinen! Auf in den fröhlichen Mai! :-) + Nachtrag

Ja, nicht die kleinen Tassen sind gemeint, sondern die lieben Kleinen. Bis 1956 waren - siehe links - Cidre, Bier und Wein in französischen ...