1.2.11

Raus aus dem Polar-Expreß – ich bin dann mal wieder weg! – Galicien 2010/11: 2. Tag: Montélimar - Irun (1.1.2011)

Der Tagportier war ein Deutscher, und der Nachtportier hatte ihn offensichtlich schon auf diesen lustigen Deutschen vorbereitet, der da in ledernen Kniebundhosen unterwegs war. Nach dem Frühstück packte ich das (diesmal sparsamere) Gepäck wieder ins Auto.
Die Sonne lachte, aber – oh Schreck! – die Batterie meines Fotoapparats schwächelte. Sie hatte sich aber sich aber nur »erkältet« in der kühlen Nacht im Auto und erholte sich während der Fahrt rasch wieder. Fortan nahm ich den Apparat immer mit ins warme Hotelzimmer …
Auf der Route Nationale 7 fuhr ich nach Montélimar hinein: Ein hübsches, lebhaftes Städtchen mit mittelalterlichem Kern, vielen kleinen Läden und Kneipen und locker einem halben Dutzend Hotels. Hier wäre es sicherlich lustiger gewesen in der Silvesternacht – aber dazu hätte ich um 21 Uhr kommen müssen statt um 23 Uhr … Was soll’s – vorbei! dachte ich. Ein ander Mal …
Wieder auf die Autobahn, südwärts Richtung Mittelmeer. Die Berge links und rechts der Rhone wichen zurück, das Tal öffnete sich zur breiten Küstenebene am Mittelmeer. Wolken zogen am Himmel auf. Überraschend viele Abschnitte mit häßlichem Unland, Gestrüpp, Gerümpel, dieser »Maquis« genannte Strauchwald, Gewerbe, Zersiedlung, zwischen schöneren Abschnitten. Nîmes. Narbonne. Abbiegen nach Westen, fort vom Mittelmeer, Richtung Toulouse. Je weiter ich mich vom Mittelmeer entfernte, desto mehr verlor die Landschaft ihre kargen mediterranen Züge, desto freundlicher, grüner, gewissermaßen »ozeanischer« wurde sie. Flache, dichte Nebelbänke erschienen, verschwanden wieder.
Häßlich Hochhausblocks rund um Toulouse. Weiter Richtung Bayonne. Die Wolken hatten sich wieder verzogen, ich fuhr jetzt einem rosaroten Sonnenuntergang mit hübsch angestrahlten Wölkchen über dem Westhorizont hinterher. Erst gegen 18 Uhr wurde es dunkel – so weit war ich nun schon nach Südwesten vorgedrungen.
Endlich war ich bei Bayonne. Die Verkehrsschilder wurden zweisprachig baskisch-französisch. Ich hatte vor, die letzte Ausfahrt wenige Meter vor der spanischen Grenze am Grenzfluß Bidassoa, die »Ausfahrt Nummer 1«, die Ausfahrt Hendaye, zu nehmen und dann in dem Städtchen Hendaye nach einem Quartier zu suchen.
Ich näherte mich Ausfahrt zwei, der vorletzten. »St. Jean-de-Luz«. Wenn man auf die »Corniche Basque«, die Küstenstraße, wolle, solle man hier abfahren, verkündete ein zusätzliches Hinweisschild. Kurz entschlossen verließ ich die Autobahn.
Durch Hügelland wand sich die Straße zum Atlantik runter und dann an diesem entlang. Ich mußte mich auf die kurvige Straße konzentrieren und konnte die Augen nicht schweifen lassen. Diesmal würde ich Hendaye quasi durch die Hintertür betreten, von der Küste aus, nach 740 Kilometern Fahrt.
Ein winziger Vorort, dann noch einmal ein paar Kurven, dann war ich in Hendaye, Frankreichs südwestlichster Stadt. Drei dicke, angestrahlte Palmen mit dem Ortsnamen darunter auf dem grünen Rasen begrüßten den Reisenden – richtig dicke Palmen, nicht diese schmalen wie in Montélimar. Wenig später vor dem Gebäude eines Yachtclubs noch einmal ein paar Prachtexemplare. Ich stieg aus und betrachtete sie: mächtige Stämme, rauh durch die Stümpfe der vertrockneten und abgeworfenen alten Wedel, ein prächtiger Blätterschopf aus vielen vier Meter langen Wedeln. Phoenix canariensis wohl, dachte ich.
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Die Dattelpalmen bilden eine eigene Gattung »Phoenix«. Die »eigentlichen« Dattelpalme, der Fruchtbaum der Sahara-Oasen, heißt Phoenix dactylifera, die »datteltragende Dattelpalme«. Sie hat meist einen langen, dünnen Stamm und einen vergleichsweise wenig eindrucksvollen Blätterschopf – dafür aber trägt sie alle zwei Jahre bis zu zwei Zentner Datteln. Aus ihren Kernen ziehen sich Zimmerpflanzenfreunde Pflanzen. Die Keimung gelingt nur bei konstant hoher Bodenwärme um die 25 Grad. Es kann über fünf Jahre dauern, bis sich nach den einzelnen »Keimblättern« die ersten »richtigen« Wedel bilden.
Dekorativer als Zierbaum und häufig im Mittelmeerraum angepflanzt ist Phoenix canariensis, die »kanarische Dattelpalme«, mit ihrem dicken Stamm und ihrem prächtigen, dichten Schopf langer Wedel. (Als eine von mir als Zimmerpflanze gehaltene nach Jahren ca. zwei Meter groß und ebenso breit war, ließ ich sie im Herbst – schlechten Gewissens – an den ersten Frösten eingehen, denn was im Kübel auf der Dachterrasse so prächtig aussah, paßte kaum noch zum Überwintern in unsere Diele …).
Prächtiger Puschel: Phoenix canariensis, die kanarische Dattelpalme - hier auf Madeira (Wikipedia)
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Direkt bei den Palmen am Yachtclub konnte man parken, eine öffentliche Toilette gab’s auch – also was sprach dagegen, hier das »Hotel Dacia« zu beziehen?: Mein Wunsch nach einem Gute-Nacht-Bier, etwas zu essen – seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr gehabt – und einem bequemen Bett …
So rollte ich bald wieder langsam den rund zwei Kilometer langen »Boulevard de la mer« entlang. Hübsche Häuser, aber nur wenige Hotels, offenbar keine Kneipen und unzählige Gratisparkplätze entlang der Straße, größtenteils leere. »Maximal 10 Stunden« verkündete ein Schild. Etliche Wohnmobilisten pennten hinter den verhängten Scheiben ihres Gefährts.
Ich stieg kurz aus und vertrat mir die Beine. Über die weite Mündung des Grenzflüßchens Bidassoa ging der Blick hinüber ins spanische Hondarribia, den Nachbarort von Irum. Orange beleuchtete Häuserzeilen, jede Lampe gestochen scharf erkennbar in der klaren, milden Seeluft. Der Wind war lau, die Kälte des Nordens war hier noch ferner als in Montélimar. Das Hotel gleich nebenan war zu teuer.
Durch das Straßengewirr Hendayes rollte ich am Yachthafen vorbei ins Stadtzentrum und weiter zum Bahnhof. Hier kannte ich mich wieder aus, hier gab es meines Wissens einige Hotels. Doch die waren entweder geschlossen (so das »Hotel Santiago« in der Rue Santiago) oder nicht ganz billig. Sollte ich in einer stillen Seitenstraße im Auto übernachten und die Bahnhofstoilette benutzen?
Zu Fuß marschierte ich über den starkbefahrenen »Pont St. Jacques« ins spanische Grenzstädtchen Irun. Nach meiner Heimkehr las ich, daß ich der ursprüngliche, an der Nordküste Spaniens entlangführende Jakobsweg (als das Landesinnere noch von den Moslems bedroht wurde) tatsächlich über Hendaye und Irun führte, also vielleicht just über diese Brücke. Schließlich war sie auch mit der Jakobsmuschel dekoriert.
Gleich hinter der Brücke der Bahnhof von Irun. »Hotel mit Heizung« verkündete ein Werbeschild. Hier bin ich richtig! Und ein gleich ein Drittel billiger als in Frankreich war’s. Freilich auch prolliger: Polizeieinsatz vor der Spielhalle gleich nebenan, z. T. etwas sonderbare Typen auf der Straße.
Ich aß und trank noch etwas in der Bar nahe dem Hotel, dann ging ich zu Fuß nach Frankreich. Ein raketenförmiger Zug der spanischen RENFE schob sich von Irun her in den Bahnhof von Hendaye, wo schon der französische TGV wartete.
»Was schaust du dir hier an? Die Sterne?« fragte mich ein leicht angesoffener Radler. Ja, mein Freund, die Sterne am Eisenbahnhimmel. »Hast du mir ne Zigarette?« Nein, mein Freund.
In einer Bar am Bahnhof aß und trank ich weiter. Als auch die gegen 23 Uhr schloß, wanderte ich wieder gen Spanien. Aushänge von Immobilienhändlern zeigten, wie teuer Hendaye war, die Stadt, die ihre Einwohnerzahl von 7.000 1955 auf rund 14.000 heute verdoppeln konnte. Lebt sich ja auch sicherangenehm hier.
Nur mal kurz 100 Meter hier Richtung Iruns Stadtzentrum gehen, dachte ich. Oder 200. Und dann ging ich doch bis ins Zentrum der Fast-60.000-Einwohner-Stadt. Zunächst vorbei an Gewerbe-Arealen, dann an einigen »Lärmruinen«, Häusern, die vom Krach benachbarter Schnellstraßen unbewohnbar geworden waren und nun vor sich hin gammelten. Dann wurde es gepflegter, und ich erreichte die Hauptstraße.
Links und rechts die in Spanien üblichen Fünf- bis Siebengeschosser. Es waren noch ziemlich viele Menschen auf den Straßen, geöffnete Kneipen allerdings gab’s kaum, höchstens in Verbindung mit den nicht wenigen Spielhallen. Diverse Temperaturanzeigen zeigten gegen Mitternacht 9 bis 11 Grad an. So laß ich mir den Winter gefallen! Auch in Irun waren Wohnungen unglaublich teuer, und das, wo doch Spanien in heftiger Krise, auch und gerade einer Immobilienpreiskrise sein soll. Hier war jedenfalls nichts davon zu spüren. Und immer noch war unter den Euros der Preis in spanischen Peseten angegeben – in Klammern. (Das Umtauschverhältnis Peseta – Euro war so krumm und so schwer im Kopf zu berechnen, daß die Spanier offenbar immer noch den Pesetenpreis brauchen, um sich das so richtig vorstellen zu können …)
Die Fußgängerampeln waren hier animiert, man sah ein gehendes grünes Männchen mit Hut, und eine Zeitanzeige zählte – wie in San Francisco – die Sekunden an, die die Grünphase noch dauern würde – bis zu 81 Sekunden an kleinen Seitenstraßen, wenn die Hauptstraße eine sehr lange Grünphase hatte.
Viele Geldautomaten gab’s – ich nutzte die Gelegenheit, meine Reisekasse aufzufüllen. Was sich allerdings als überflüssig erwies: In Spanien verbrauchte ich wesentlich weniger Geld als im teuren Frankreich.
Nach Mitternacht war ich wieder an meinem Hotel. Ein paar zwielichtige Jugendliche wollten gleich zusammen mit mir ins Hotel kommen, fragten nach der Rezeption (die 100 Meter weiter an der Bar war – und jetzt sicher schon geschlossen). Ich drängte sie ab, ging in mein Zimmer und sank in den Schlaf, nachdem ich die häßliche Kontrolleuchte des Fernsehers mit einem Handtuch abgedeckt hatte und der offenbar unabstellbaren Heizung durch Aufreißen des Fensters entgegengewirkt hatte …

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