Das Mega-Ereignis Nummer eins hatte ich ja verpaßt: den Verkaufsstart des neuen Harry-Potter-Bandes. Also gab's für diesen Samstagvormittag nur noch eine weitere Möglichkeit: Auf zur (Anti-)NPD-Demo nach Tübingen!
Das hatten die Neonazis sauber hingekriegt: Anstatt sie einfach marschieren und im gähnenden Desinteresse untergehen zu lassen, hatte die Ankündigung der Nazidemo genügt, um halb Tübingen in Aufruhr zu versetzen: Gegendemonstrationen noch und nöcher, dutzendweise Anti-NPD-Veranstaltungen in der ganzen Altstadt, dort, wo noch Tage zuvor das Stadtfest war. In der Tat hatte ich den Eindruck, die NPD hat da eigentlich nur einen Vorwand geliefert, um weiter Party machen zu können ... Vielleicht 150 NPDler würden da sein, aber mindestens 1500 Polizisten und gewiß zehnmal so viele Volksfestteilnehmer .... äh, Gegendemonstranten ...
150 Meter Hin- und Hermarschieren war ihnen nach langem Hin und Her vom Oberverwaltungsgericht zugebilligt worden, auf der Straße vor dem Hauptbahnhof, zwischen Matheis' Weinhaus, der Parkgaststätte und der Hauptpost. Daß es morgen losgehen würde, war mir erst am Freitagabend in der Hauptpost klargeworden, als es dort hieß, morgen früh sei geschlossen ...
Spontan entschloß ich mit mit Freund D., dem denkwürdigen Ereignis beizuwohnen. Um 12 wollten wir uns an der Gaststätte Picasso nahe der Sperrzone treffen. Für den Fall, daß alle Zufahrtswege schon blockiert sein würden, erkundeten wir noch die Wege durch den schmalen Picasso-Garten nach hinten weg, Richtung Parkplatz und Fußgängerbrücke über die Steinlach. Schon jetzt, am Freitagabend, marschierte überall Polizei auf ...
Unsere Vorsicht war übertrieben, stellten wir fest, als wir uns 5 nach 12 an der Kastanie beim Picasso trafen; der Fußgängerverkehr durch die Unterführung vorm Picasso lief störungsfrei, die Sperrzone begann erst 200 Meter weiter vor der Hauptpost. (Eigentlich wollte das Picasso geschlossen halten, hatte es sich dann aber doch anders überlegt - zu seinem Glück: Schon genoß ein gröhlender Haufen vor seiner Tür Bier und Volksfeststimmung).
Das Café XXL dicht an der Sperrzone hatte seine Fenster mit Packpapier verklebt, »aus versicherungstechnischen Gründen«, hieß es im »Schwäbischen Tagblatt«. Mir war es gar nicht aufgefallen, D. ja. Das »XXL« hatte ebenso geschlossen wie die - allerdings schon knapp innerhalb der Sperrzone gelegene -
Parkgaststätte (die der Stammtisch »Unser Huhn« ja immer in »Papstgaststätte« umtaufen will, weil dort Ratzinger in den 60er Jahren mal gelegentlich zu Gast war).
Die Dächer der Wartehäuschen am Busbahnhof waren schon von Antifas geentert - die hatten einen besseren Überblick als wir. Wir umwanderten die Sperrzone durch die Grünanlagen, bis wir schließlich am Weinhaus Matheis standen, am anderen Ende der Sperrzone. Ein von Herrenberg kommender Bummelzug schob sich hinter uns am Bahnübergang vorbei in den Hauptbahnhof. Das ist die Idee! Im Eilschritt (»Walking« auf neudeutsch) gingen wir durch den Fußgänger-Schloßbergtunnel. Uns entgegen kamen einige Mofas. Hähä, jetzt kommt Palmer nicht dazu, sein neues Mofaverbot im Tunnel zu überwachen ... Wochenlang hatte das für Aufregung in den Leserbriefspalten gesorgt, nun waren die NPDler dran. Anstatt es einfach abzulehnen, sich wegen so einem Scheiß das Wochenende nehmen zu lassen, stand Tübingens grüner OB Palmer irgendwo an einem Mikrophon und gab Dinge von sich wie: »Das Gericht hat's genehmigt, also beschränken Sie sich bitte auf einen friedlichen Protest!« Taten die aber nicht, vor dem Weinhaus Matheis (das übrigens trotzdem ganz normal geöffnet war) war anscheinend schon eine Blockade errichtet worden (»Hier kommen die nicht durch!«), und im Bahnhof hatte es anscheinend auch schon eine Rangelei zwischen NPDlern und Antifas gegeben.
D. war mit seinen langen Beinen mir gegenüber klar im Vorteil bei der Schrittlänge - ich sollt echt was anderes trainieren als Laufen ...
Wenige Minuten später stiegen wir in Tübingen-West in den nächsten Zug, rollten langsam durch den Bahntunnel und am Weinhaus Matheis vorbei und in den Hauptbahnhof ein. Der Verkehr im Hauptbahnhof solle aufrechterhalten werden, hatte es im Tagblatt geheißen. Was man eben so »Normalität« nennt ... Die Bahnhofsgaststätte war zu, die Toiletten auch, der Burger King hatte geöffnet, der Bäcker auch, aber sonst war das meiste zu, an der Vorderseite durfte man nicht verweilen, und statt nach vorne mußte man über die Unterführungen nach hinten 'rausgehen, zur Hegelstraße hin. Der Busbahnhof war dorthin verlegt, etliche Linien unterbrochen - mein Gott, was für ein Aufstand wegen der paar Neonazis ...
»Currywurst gegen rechts« las ich aufgesprüht an einer Wand der Unterführung, aufgesprüht mit offenbar ähnlichen Schablonen wie »Currywurst im Tresor« an Bankgebäuden und ähnliche Sprüche anderswo. Das schien mir das passende Motto für dieses Volksfest zu sein ...
Wenig später standen wir wieder am Busbahnhof. Daß die Nazis näherkamen, bekam man nur am anschwellenden Triller- und Pfeifkonzert und den Rufen »Nazis raus!« mit; bis auf ein paar ferne Fahnen konnten wir nichts erkennen. An sich hätte es der Nazis gar nicht mehr bedurft; das Volksfest hätte auch ohne sie steigen können.
Anschließend noch ein Radler im Picasso und einen Döner in der Dönerbude nebenan, die heute Bombenumsätze machte, mußte man sich doch stärken nach dem aufreibenden Antifa-Einsatz - während andere freiwillig oder gezwungenermaßen ganz geschlossen hielten ...
Mit dem Bericht von diesem erhebenden Ereignis verabschiede ich mich aber nun endgültig in die Ferien ...
Neuerscheinungen aus dem Marterpfahl Verlag, Aktuelles, Politik - die Chronik des laufenden Wahnsinns ... - Der Marterpfahl Verlag ist seit der Jahresmitte 2024 Geschichte, den »aktuellen Wahnsinn« gibt es noch (leider), und es wird auch in Zukunft als freiberufliche Tätigkeit gelegentlich Neuerscheinungen geben, unter was für einem Label auch immer :-)
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1 Kommentar:
Es fragt sich nur, wo die wahren Chaoten zu finden sind. Ich sehe, wenn ich von der Mitte nach LINKS schaue, ein Mehrfaches dessen, was sich wirklich RECHTS versammelt hat! Wer versprayt Eisenbahnfahrzeuge, Häuser und Denkmäler? Bei uns ist es die rot-grüne Chaos-Gesellschaft, die so riesige Schäden anrichtet (was auch für die "Etablierten" aus dieser Ecke gilt, denn schliesslich hat Zürich eine rot-grüne Stadtregierung). Wie ist das nun bei Euch? Auf wessen Konto gehen da die schlimmsten Schäden? Na?
Grüässli:
Hans-Peter, aka Zürihegel
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