Die Haushälterin war schon angewiesen worden, die Suppe warm zu
stellen, als die beiden Mädchen endlich lärmend und gänzlich undamenhaft
in den Raum gestürmt kamen. »Mr. Turner, darf ich Ihnen meine beiden
Töchter vorstellen? Mädchen, das ist Mr. Turner, der sich
freundlicherweise bereit erklärt hat, dafür zu sorgen, daß ihr diesen
Sommer nicht wieder mit Reiten und Schwatzen vergeuden werdet!« Der
Lehrer war angenehm überrascht. Mit derart bezaubernden Schülerinnen
hatte er trotz der attraktiven Mutter kaum zu rechnen gewagt. Er deutete
eine knappe Verbeugung an, ergriff die widerstrebend vorgestreckten
Hände der Mädchen und schickte sie dann erst einmal erneut zum
Händewaschen hinaus. (…)
Als die Zwillinge sich nach dem Essen eilig davonmachen wollten,
rief Mr. Turner sie noch einmal zurück. Mit gesenktem Kopf ließen sie
eine Moralpredigt über Tischsitten und Pünktlichkeit über sich ergehen.
»Ab heute weht hier ein anderer Wind, meine Damen! Schaut mich an!« Er
griff jeder der beiden mit einer Hand unter das Kinn, damit sie ihm in
die Augen sehen mußten. »Eure Mutter hat mich ausdrücklich damit
beauftragt, euch nicht nur Unterrichtsstoff, sondern auch Tugenden
einzubleuen, welche von Damen eures Alters und eures Standes erwartet
werden!« Nach wenigen Minuten klopfte es an der Tür, und die
Haushälterin überreichte dem Lehrer einen Rohrstock. Dann knickste sie,
warf den Mädchen einen vielsagenden Blick zu und verließ den Raum, in
welchem nun Totenstille herrschte. Die Mädchen waren bleich geworden.
»Mama, wir sind doch keine kleinen Kinder mehr!« protestierten sie
lautstark, doch Margarete v. Branitz ließ sich auf keinerlei Diskussion
ein. »Es wird allerhöchste Zeit, daß ihr lernt, euch standesgemäß wie
erwachsene Damen zu verhalten. Wenn ihr es vorzieht, euch wie unartige
kleine Mädchen aufzuführen, dann werdet ihr eben auch so behandelt!«
Erneut erhoben die Sünderinnen einen erfolglosen Protest, doch ihre
Mutter drohte ihnen an, daß das gesamte Personal bei ihrer Bestrafung
zugegen sein würde, wenn sie noch ein einziges Wort der Widerrede
vernehmen müßte. »Sagen Sie, wieviel hätte es zu unserer Schulzeit für
Unpünktlichkeit oder freches Verhalten gegeben?« fragte die Baronin den
neuen englischen Hauslehrer. »Mindestens ein Dutzend«, antwortete der
Angesprochene.
Das hätten sich die beiden Trotzköpfchen nicht träumen lassen, daß
Mutter ihrem Eigensinn so entschlossen entgegentreten würde …
Der Text der hier vorliegenden Ebook-Ausgabe ist der stark
erweiterte Text der Fraktur-Sonderausgabe. »Freuen Sie sich auf rund ein
Viertel mehr Züchtigungen und Lesegenuß als in der Normalausgabe,
verehrter und vergnügter Leser! ;-)« (aus dem Vorwort des Verlegers zur
Ebook-Ausgabe)
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