5.2.11

3. Tag: Irun - Pedrafita do Cebreiro (So, 2.1.11)

Erst nach acht Uhr morgens wurde es zögernd hell; noch 20 vor neun brannten die Straßenlampen, zumal graues Wetter herrschte. Vogelgezwitscher drang durchs halboffene Fenster in meinen allzu gut geheizten Raum. Zwischen fernem Möwengekreisch hörte ich erste Züge auf den Gleisen direkt vor meinem Fenster, allerdings waren es nur wenige, die sie sonntagmorgendliche Stille unterbrachen.
Die Bar hatte schon seit halb sieben geöffnet, einer saß schon wieder vor einem Bier, ich hingegen machte es ähnlich wie die meisten, genehmigte mir drei Milchkaffees und zwei Schokohörnchen (belegte Brote gab’s um diese Tageszeit noch nicht) und betrachtete das Publikum, darunter wasserdicht eingepackte Radler.
Wieder zurück im Hotelzimmer, gab der Fernseher leider nur einen Kanal her: Zeichentrick. Irgendwelche französischsprechenden, geschwätzigen, altklugen Kinder kämpften gegen irgendwelche fiesen Monster und blieben dabei leider immer Sieger. Nie wurde eins der Kinder gefressen und gab dann endlich Ruhe.
Gepäck ins Auto und noch mal kurz in die Bar, bei einem kleinen Bier Notizen machen und durchs Fenster sehen, wie sich über den grünen Bergen im Hinterland die Wolkendecke wenigstens etwas hob.
Als ich ins Auto stieg, wollte mir ein windiger Straßenhändler noch ganz billige Rolex-Uhren verkaufen. Unter meinem Scheibenwischer steckte ein Knöllchen: 3,90 Euro. Moderate Preise! Zumal wenn man eh nicht bezahlt …
Es war 11.20 Uhr. Ich rollte durch die Stadt Richtung Autobahn. An der Autobahnauffahrt mußte ich 1,38 Euro aus meinem Portemonnaie krümeln, während hinter mir ein Ungeduldiger hupte und ich an der Steigung den Motor abwürgte. Willkommen zurück im System der BBSE, der blöden Bezahl-Autobahnen Südeuropas, dachte ich.
Vorbei an San Sebastian. Südwärts Richtung Vitoria. Grüne Berge, Viadukte. Das Wetter konnte sich lästigerweise nicht entscheiden, ob es nun regnen sollte oder nicht, dutzende Male schalte ich den Wischer an und wieder ab.
14.20 Uhr, drei Stunden seit der Abfahrt von Irun. Ich erreichte die Gegend von Burgos. Bizarre Felsmassive ragten aus der sie umgebenden Ebene in den Himmel, die Gipfel in den niedrigen Wolken verborgen.
Weiter ging’s westwärts Richtung Leon, über die kahlen Hochebenen der Meseta, vorbei an Carrion de los Condes, meinem Quartier von 2009, die Landstraßen ignorierend, die parallel zur Autobahn liefen. Die Wolken rissen auf, und fortan konnte ich an dem hohen Himmel ein ständig wechselndes Wolkentheater bestaunen. Wofür ein Pilger zu Fuß eine Woche benötigt, das schaffte ich bei gemächlicher Autofahrt in zwei Stunden: Etwa um 16.20 Uhr passierte ich Leon. Ich bog auf die Autobahn Madrid-Lugo-La Coruña ein. Meine Fahrtrichtung schwenkte von West auf Nordwest. Die Gegend wurde hügelig, hinter Astorga bergig. Immer öfter verlief die Autobahn über lange Steigungen und Gefälle. In der Ferne wurden im Nordwesten die Berge sichtbar, die Galicien vom innerspanischen Hochland trennen. Im Westen tauchte die untergehende Sonne die Berge in herrliches (Gegen-)Licht; mitunter schien es, als ob Bergmassive schwebten.
Ich passierte Villafranca del Bierzo, den Ort mit der Kirche mit der Gnadenpforte. Wer von den mittelalterlichen Santiago-Pilgern es wegen Alter oder Krankheit nicht mehr über das letzte Gebirge vor Santiago schaffte, der konnte hier durch die Gnadenpforte gehen und erhielt dann ebenso viel Ablaß seiner Sünden, als wäre er in Santiago gewesen.

Durch diese Pforte sollst du geh'n, wenn du nicht mehr weiterkannst, und dir wird Vergebung zuteil ...

Mein Etappenziel war Pedrafita do Cebreiro, der Ort an der Ostgrenze Galiciens, 1100 Meter hoch an dem Paß gelegen, der Galicien vom spanischen Binnen-Hochland trennt. 15 Kilometer vor Pedrafita fuhr ich von der Autobahn ab, wechselte auf die parallele Nationalstraße 6 Madrid- La Coruña, die langsam aufwärts strebte Richtung Paßhöhe.
Wieder die Verkehrsschilder »Achtung Pilger!«, doch meist war der Pilgerweg von der Fahrstraße abgetrennt. Vor Jahrzehnten, als er es noch nicht war, kam es oft zu bösen Unfällen …
Ich hätte hier links abbiegen und über eine der letzten der einst so zahlreichen unasphaltierten Nebenstraßen Spaniens über die Grenzberge zwischen Leon und Galicien fahren können, aber so abenteuerlustig war ich denn doch nicht; außerdem wollte ich mich ja möglichst an den Pilgerpfad halten.
Pilger waren allerdings kaum zu sehen, nur eine Handvoll Fußgänger, bei denen es zweifelhaft war, ob es sich um Pilger handelte.
Die Straße wand sich bergauf, nicht besonders steil, aber so schmal und kurvig, daß oft nicht mehr als Tempo 30 bis 40 möglich war. Immer wieder winzige Dörfchen und Hotels …
Endlich – gegen 18.30 Uhr – erreichte ich in der Abenddämmerung die Paßhöhe, passierte das Schild »Region Galicien« und wenige Momente später das Ortsschild »Pedrafita do Cebreiro«. Die nach Santiago führende Straße zweigt hier von der N 6 ab. Fast leerer Riesenparkplatz, auch für Lkw, an der Abzweigung. In der Mitte des Parkplatzes ein Häuschen mit Toiletten und Duschen – aus denen aber nur Kaltwasser strömte.
Endlich hat der Pilger Galicien erreicht - und findet den Grenzstein mitunter von Unabhängigkeitsparolen »verziert« vor

Ich parkte, um nach einem Quartier für die Nacht zu suchen. 560 Kilometer hatte ich seit Irun zurückgelegt. Auf einer Harley Sporty bollerte einer mit wohltönend verändertem tiefen Auspuffsound vorbei und parkte vor einer Bar. Ach ja – später, später, dachte ich. Erst ein Quartier finden. Neben meinem geparkten Auto ein Gartengrundstück mit irgendeiner erntereifen Kohlsorte. Merkwürdig eigentlich – eine Woche vor meiner Abreise hatte die Webcam am Cebreiro-Paß, gefunden über einen Link von pilgern.ch aus, tiefverschneite Nadelwälder gezeigt, und auch an der Küste waren nur fünf Grad. Mit Schnee und gefährlicher Glätte hatte ich gerechnet, nicht mit erntereifen Krautbeeten. Vermutlich ist die Webcam einige hundert Meter entfernt, da oben in den Bergen, dachte ich.
Das »Hotel zum Pilger« war leider ausgebucht, seltsamerweise, waren doch augenscheinlich kaum Touristen unterwegs; 200 Meter weiter fand ich in der »Casa Garcia« unterm Dach ein Zimmer mit richtigen Doppelfenstern wie in Osteuropa: Außen ein Fenster, dann eine Fensterbank und innen noch mal ein Fenster.
Ich holte mein Auto heran, verfrachtete mein Gepäck ins Zimmer und vertraute dann der Leuchtschrift außen auf der »Casa Garcia«: »Landestypische Gerichte«. Zu Unrecht. An diesem Abend war die Küche geschlossen. Also zog ich noch mal los ins kleine, überschaubare Dorf.
»+ 2 Grad« verkündete die Leuchtschrift außen an meinem Hotel, und diesmal trog sie wohl nicht. Es war sternenklar und kalt, mein Atem stand mir wie eine kleine Wolke vor dem Mund. Überflüssigerweise wurden gerade bei diesem Beinahe-Frostwetter die Quads des Hoteleigners dampfstrahlgewaschen …
Die »Bar zum 21. Jahrhundert« entpuppte sich als eine öde Sportkneipe, wo die Jugend am Fußballgucken war, der Boden schon vermüllt und nichts außer Bier und Sidra (Apfelwein) im Angebot. Nichts zu essen jedenfalls, auch keine Tapas. (So hatte mein Freund S., der 1989 auf dem Jakobsweg unterwegs war, doch recht, als er sagte, damals habe es nur in Südspanien Tapas gegeben. Ein Rest von dieser sparsamen Einstellung scheint geblieben zu sein …)
Eine Wurst aus einem noch geöffneten Tante-Emma-Laden stillte den größten Hunger, bis ich schließlich – unter einem derzeit geschlossenen Hotel – noch eine Kneipe fand, bei der ich wenigstens ein Schinkenbrot bekommen konnte. (Geöffnete) Restaurants schien es nicht zu geben.
Schon um 21.30 Uhr war ich wieder in meinem Hotel. »Nach Santiago wollen Sie wohl!?« fragte mich die Wirtin. Wie hat sie das nur erraten!? Das Regionalfernsehen berichtete von der Schließung der Heiligen Pforte an der Ostseite des Doms zu Santiago in der Silvesternacht. Nur in den »compostelanischen Jahren«, d. h. solchen, an denen der Tag des Hl. Jakob, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt, ist sie geöffnet. 2010 war das der Fall; das nächste Mal wird erst wieder 2021 sein.
Ich ließ die lederne Kniebundhose im Gepäck verschwinden – für Santiago ziemte sich die nicht – und holte die schwarze Stoffhose hervor. Jetzt noch rasch einen Pullover über die lästigen Kontrolleuchten von Fernseher und Receiver hängen, dann kann an der Matratze gehorcht werden …
Die grünen Hügel Galiciens ...

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Donald und Kamala, die Lovestory :-)

Sind sie nicht süß? Und Klein-Donald erst, der aus dem Bauch herauskommt! So, jetzt muß ich mal gucken, wie ich das aus FB 'runterkrieg...