Männer in Generalverdacht – wieder einmal

Was waren das doch noch für gemütliche Zeiten – Agatha Christie, »Mord im Orientexpreß«. Oder »Mord auf dem Nil«. Hercule Poirot aktivierte seine grauen Zellen und arbeitete sich nach dem Ausschlußverfahren zum Mörder vor: Zunächst wurden alle als verdächtig betrachtet und danach diejenigen aussortiert, die es aus verschiedenen Gründen nicht gewesen sein konnten, bis dann schließlich einer übrig blieb ...
Was bei einer überschaubaren Zahl von Verdächtigen sinnvoll sein kann – das Ausschlußverfahren –, wird zunehmend auch dann angewendet, wenn es nicht sinnvoll ist:
Polizei bereitet größten Gentest Deutschlands vor, sucht Kinderschänder
Der bisher größte Massengentest Deutschlands wird hier vorbereitet. Was für ein schlimmer Mord soll hier aufgeklärt werden? Gar keiner, so erfahren wir. Es handelt sich um einen Kinderschänder, der nicht gemordet hat (noch nicht, sollte man vielleicht vorsichtigerweise hinzufügen). Gewiß ein schlimmes Delikt. Aber gilt die Verhältnismäßigkeit der Mittel hier gar nicht mehr? Darf man für die (möglicherweise erfolglosen) Ermittlungen in so einer nichttödlichen Sache 2 ¼ Millionen Mark ausgeben? Hat so was überhaupt kriminaltechnisch einen präventiven Sinn, wenn die Auswertung Jahre dauert? Darf man die gute alte Unschuldsvermutung so einfach auf den Müll werfen? Darf man mit dem Wort »freiwillig« Schindluder treiben? Denn man darf sich ja keinen Illusionen hingeben: Das Wort »freiwillig« ist hier nicht mehr das Papier wert, auf dem es gedruckt wird. Sozialer Druck (»Du verweigerst den Test? Dann hast du wohl was zu verbergen!«) im Verein mit polizeilichem Druck (»Sie verweigern den Test? Dann geben Sie uns ein Alibi, stehen Sie uns Rede und Antwort!«) sorgen mit vereinten Kräften dafür, daß wieder einmal die Männer in toto als potentielle Täter und Gewalttäter dastehen und sich anstrengen müssen, sich zu entlasten, während Frauen mal wieder pauschal als die besseren Menschen dastehen; auch wenn sie mal in einen ähnlichen Verdacht geraten, werden Massengentests in solchen Fällen oft als »unzumutbar« abgelehnt, auch von Gerichten.
»Unzumutbar« – ja, das sind sie. Ich kann jedem nur empfehlen, solche von Hysterie diktierten Pauschalverdächtigungen und Massengentests abzulehnen und sich mit allen Mitteln dagegen zu verwahren – zumal auch noch ziemlich zweifelhaft ist, ob die erhobenen Daten nach Abschluß der Ermittlungen auch tatsächlich wieder gelöscht werden (wie versprochen). Was aber am schwersten wiegt, ist diese sich ausbreitende »Wenn-du-nichts-zu-verbergen-hast-kannst-du-doch-alles-offenlegen«-Mentalität. Doch, wir haben was zu verbergen: unser Privatleben nämlich und alle Infos über uns, die andere nichts angehen. Erstaunlich, wie gering all diese mühsam errungenen Freiheiten heute geschätzt werden, wie leicht sie einer schlechtinformierten Hysterie über angeblich pausenlos steigende Kriminalität geopfert werden.
Was das alles im Marterpfahl-Blog zu suchen hat? Nun, wenn Arne Hoffmann hinter seinem Schreibtisch politisiert, was das Zeug hält, werde ich das doch auch mal dürfen, nicht wahr?

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Obama, Hitler, »Zensursula«: Panoptikum der aktuellen Polit-Hysterien

Bewaffneter Überfall / Strahlende Zukunft / Ohne Moos nix los